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Gero Miesenböck

FOTO: APA/JULIA CONDON

Oxford/Wien - Bei Fruchtfliegen zeigen nur Männchen Balzverhalten - mit vibrierenden Flügeln stimmen sie ein "Lied" an, das Fliegenweibchen unwiderstehlich finden. Wissenschafter um den gebürtigen Österreicher Gero Miesenböck von der Universität Oxford haben nun gezeigt, dass auch Weibchen die Kapazität für männliches Verhalten besitzen. Mit ihrer Technik, bestimmte Neuronen so zu verändern, dass sie mit Licht eingeschaltet werden können, schafften sie es auch bei Weibchen, den neuronalen Schaltkreis für das Balzverhalten anzuregen: Die Weibchen "sangen" das "Liebeslied" der Männchen, berichtete Miesenböck jüngst in der Zeitschrift "Scientific American".

Unter normalen Umständen ist die Balz reine Männersache, "offensichtlich weil den Weibchen das neuronale Signal fehlt, das beim Männchen den Einsatz zum Gesang gibt", erklärt Miesenböck. Für den Neurobiologen legen diese Befunde nahe, dass männliches und weibliches Verhalten anders organisiert sind als oft vermutet. "Es scheint, dass neuronale Muster für geschlechtsspezifisches Verhalten bei beiden Geschlechtern ähnlich angelegt sind". Diese Verhaltensmuster dürften aber vom Zentralnervensystem geschlechtsspezifisch reguliert werden, so dass männliches Verhalten bei Weibchen latent bleibt.

Forschung seit den 90ern

Das menschliche Gehirn besteht aus mindestens 100 Milliarden Neuronen, von denen es zahlreiche Untertypen gibt. Diese verschiedenen Arten sind zu Netzwerken zusammengeschaltet, in denen die Informationsverarbeitung erfolgt, beispielsweise für eine bestimmte Aktion wie das Heben der Hand eines Menschen oder das Anstimmen des "Liebesliedes" bei Fruchtfliegen. "Unser Ziel war und ist es, zu verstehen, was sich im 'Cockpit' etwa einer Fruchtfliege abspielt, welche Signale im Gehirn eine bestimmte Handlung auslösen", so Miesenböck.

Erste Schritte dazu gelangen den Wissenschaftern schon in den 90er-Jahren: Sie konnten Neuronen mit gentechnischen Methoden so verändern, dass sie beim Empfang bzw. Senden elektrischer Impulse aufleuchten. Doch die Aktivität nur zu beobachten, war den Forschern nicht genug. Sie suchten nach "Schaltern", mit denen man gezielt einen bestimmten neuronalen Schaltkreis aktivieren kann.

Durchbruch

2005 ist das Miesenböck, damals noch an der Yale University (US-Bundesstaat Connecticut) arbeitend, und seinem Team durch die Kombination von Optik und Genetik erstmals gelungen. Sie bauten in Neuronen von Fruchtfliegen Gene ein, die für den Aufbau sogenannter Ionenkanäle verantwortlich sind. Aktiviert man einen solchen Ionenkanal, "feuert" das Neuron einen Impuls in den Schaltkreis. "Eingeschaltet" werden die Ionenkanäle durch einen Lichtblitz, der ein bestimmtes aktivierendes Molekül aus chemischen Käfigen freisetzt.

Die Wissenschafter haben für internationale Aufmerksamkeit gesorgt, als es ihnen gelang, mit Laser diesen Mechanismus auszulösen und die Neuronen gezielt zum "Feuern" zu bewegen. Sie konnten damit die Fruchtfliegen durch Licht quasi fernsteuern und etwa einen Fluchtreflex auslösen.

An- und Abschalten

2007 entwickelten Wissenschafter der Stanford University ein Verfahren, wie sie Neuronen mit Licht nicht nur aktivieren, sondern auch hemmen können. Sie bauten die Gene von bestimmten Algen und Bakterien in Neuronen ein, die für die Produktion von lichtempfindlichen Proteinen verantwortlich sind. Während eines dieser Proteine auf blaues Licht reagiert und das Neuron aktiviert, spricht das andere auf gelbes Licht an und hemmt die Aktivität der Nervenzelle. Damit lassen sich Neuronen und deren Schaltkreise gezielt mit Licht unterschiedlicher Wellenlänge an- und abschalten, was die Forscher etwa an der Aktivität von Fadenwürmern demonstrieren konnten.

Miesenböck betont, dass all diesen späteren Variationen "unser Prinzip zugrunde liegt, elektrische Signale im Gehirn durch lichtgesteuerte Ionenkanäle zu kontrollieren". Die Grünalgen hätten den Vorteil, dass das lichtempfindliche Molekül bereits "eingebaut" sei, während es die Forscher um Miesenböck noch von außen zugeben müssen. Die Algen-Ionenkanäle hätten jedoch den Nachteil, nur winzige elektrische Ströme zu leiten, weniger als ein Prozent eines klassischen Ionenkanals. Das reiche oft nicht aus, um die Aktivität von Nervenzellen verlässlich zu kontrollieren. "Unsere Fruchtfliegen etwa lassen sich mit Algen-Ionenkanälen nicht fernsteuern", so Miesenböck, der je nach Bedarf mit verschiedenen Methoden arbeitet.

Auch wenn es mittlerweile schon "ferngesteuerte" Mäuse und Würmer gibt, konzentriert sich Miesenböck und sein Team weiterhin auf die Fruchtfliegen, ein Lebewesen mit komplexem Verhalten, das von einem relativ einfachen Gehirn aus ungefähr 100.000 Nervenzellen kontrolliert wird: "Wir sind allgemeinen Funktionsprinzipien des Gehirns auf der Spur, und es ist anzunehmen, dass diese für Fliegen ebenso gelten wie für höherentwickelte Tiere", so Miesenböck.

Anwendungen

Das Hauptinteresse des Neurobiologen liegt klar im Bereich der Grundlagenforschung, dennoch zeichnen sich bereits mögliche Anwendungen ab: "Die Fähigkeit, Gehirnfunktionen viel präziser zu kontrollieren als mit Pharmaka, könnte natürlich therapeutisch wertvoll sein." Als Beispiele nennt Miesenböck die Prothetik, die Kontrolle von Bewegungsstörungen bei Parkinson, die neuronale Regulation der Nahrungsaufnahme und des Stoffwechsels, oder auch die Kontrolle eines inkontinenten Schließmuskels.

All dem steht derzeit allerdings "ein gewaltiges Hindernis im Weg", verweist Miesenböck auf die für solche potenziellen Anwendungen notwendige Gentherapie. Diese sei technisch nicht einfach und mit nicht genau abschätzbaren Risiken verbunden, weshalb etwa die in den USA dafür zuständige Food and Drug Administration (FDA) über jegliche Form der Gentherapie ein Moratorium verhängt hat. (APA)