Gasstreit, Gaza-Krieg, Wirtschafts- und Finanzkrise. Dazu ein französischer Staatschef, der sich auch nach dem Ende der EU-Präsidentschaft seines Landes als quasi natürlicher Ratsvorsitzender wähnt und auch so verhält. Daneben noch Kleinigkeiten wie die Blockade der kroatischen Beitrittsverhandlungen durch Slowenien. Und das Ganze vor dem Hintergrund einer ungewissen Zukunft des Lissabon-Vertrags, der die Union bekanntlich handlungsfähiger machen soll.

Die Tschechische Republik ist um ihren erst wenige Tage alten Ratsvorsitz in der Europäischen Union nicht zu beneiden. Auch der bestausgestattete und -vorbereitete diplomatische Apparat eines noch so großen Landes wäre mit dem Bedarf an Krisenmanagement und Koordination, der dieser Tage herrscht, überfordert.
Die europäische Kakofonie zum Gaza-Krieg und die diplomatischen Parallelaktionen ergeben ein Bild, von dem der deutsche Ex-Außenminister Joschka Fischer jetzt in der Hamburger Zeit zu Recht sagt, es „sollte uns die Schamesröte ins Gesicht treiben". Und das Bemühen um europäische Geschlossenheit im russisch-ukrainischen Gasstreit, das Tschechiens Premier Mirek Topolánek und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch in Prag demonstrierten, klang auch eher wie ein Pfeifen im dunklen Wald. In Moskau wird man sich davor fürchten - in Kenntnis der unterschiedlichen Interessen einzelner Länder wie Deutschland und Polen.

Freilich bringen unsere tschechischen Nachbarn denkbar schlechte Voraussetzungen mit, um im europäischen Sinn einigend zu wirken. Denn auch die Prager Begleitmusik zum EU-Vorsitz ist mehr Kako- als Sinfonie. Einen Tag, nachdem Premier Topolánek die „drei E" (Energy, Economy, EU-Position in der Welt) als Schwerpunkte der Präsidentschaft präsentiert hatte, nannte Außenminister Karl Schwarzenberg am Mittwoch in einem Interview mit Mladá fronta Dnes das Verhältnis zu Russland als größte Herausforderung des Vorsitzes.

Als strategisch denkender Mensch hat Schwarzenberg vermutlich Recht. Und wahrscheinlich wäre es tatsächlich das Beste, die Tschechen würden sich mit ihren historischen Erfahrungen ganz auf dieses Thema konzentrieren. Der Gasstreit liefert soeben die besten Argumente dafür. Aber erstens gibt es neben Schwarzenberg die große rechtsliberale Regierungspartei ODS, die in ihrer Haltung zur EU insgesamt gespalten ist. Und zweitens ist da noch der Herr im Hradschin, der mit einer geschlossen auftretenden EU so gar nichts anfangen kann.

In einem Beitrag für die Financial Times hat Präsident Václav Klaus „seiner" Regierung am Mittwoch die Linie für den EU-Vorsitz vorgegeben. Nach der extravaganten Feststellung „Das globale Klima ändert sich im Grunde nicht" äußert Klaus die Hoffnung, die Prager Präsidentschaft werde Europa nicht zu einer immer geeinteren Union führen. Stattdessen müssten gerade jetzt Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und andere Standards verringert, wenn nicht ganz abgeschafft werden, weil sie „vernünftige menschliche Aktivitäten mehr als alles andere blockieren".
Klaus' Plädoyer für ein dezentralisiertes Europa ist nicht per se EU-feindlich. Aber der Glaube, dass Nationalstaaten mit den Problemen einer durch und durch vernetzten Welt allein besser zurechtkämen als in einer Gemeinschaft von Werten und Normen, hat angesichts der aktuellen Krisen etwas Absurdes. Vielleicht ist es die wahre Bestimmung des tschechischen EU-Vorsitzes mit all seinen Widersprüchen - die ja im Grunde nur die gesamteuropäischen Verhältnisse spiegeln -, diese Absurdität bewusst zu machen. Dem Land von Schwejk und Kafka würde es durchaus zur Ehre gereichen. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.1.2009)