Paris - Frankreich steht die Abschaffung des Jahrhunderte alten Amtes der Untersuchungsrichter bevor. Staatschef Nicolas Sarkozy sagte am Mittwoch in einer Rede vor dem Kassationsgericht, es sei an der Zeit, das Amt abzuschaffen und stattdessen einen Ermittlungsrichter einzuführen. Dieser solle den Ablauf der Ermittlungen kontrollieren. Schließlich könne ein Untersuchungsrichter nicht die Ermittlungen leiten und zugleich neutral darüber wachen, dass die Rechte des Verdächtigen geachtet würden, sagte der Präsident.

Die Tageszeitung "Le Monde" hatte am Vortag berichtet, dass Sarkozy die Ermittlungen und die Anklageerhebung in die Hand des Staatsanwalts legen wolle, ähnlich wie es in Deutschland gehandhabt wird. Kritiker des schon lange diskutierten Vorhabens in Frankreich fürchten eine staatliche Übermacht, weil heikle Ermittlungen - besonders in politischen oder finanzpolitischen Fällen - dann nicht mehr von einem unabhängigen Richter geführt würden, sondern von einem Beamten, der dem Justizministerium untersteht.

Untersuchungsrichter sind in Frankreich mittlerweile nur noch mit knapp fünf Prozent der Fälle befasst; es handelt sich meist um Strafrechtsfälle. Die Befugnisse der Untersuchungsrichter waren 2001 bereits beschnitten worden. Über Untersuchungshaft oder Auflagen für Verdächtige entscheidet seitdem ein gesonderter Haftrichter. Die Abschaffung des Amtes ist Teil einer umfassenderen Neuordnung des französischen Strafrechtes.

Von Napoleon I. eingeführt

Das Amt des Untersuchungsrichters wurde 1811 von Kaiser Napoleon I. eingeführt. Untersuchungsrichter treten nur in etwa 5 Prozent der Strafverfahren auf, insbesondere bei Blutverbrechen sowie in Korruptionsaffären und politischen Skandalen. Sarkozy betonte, dass die Abschaffung der Untersuchungsrichter den Schutz der persönlichen Freiheiten der Verdächtigten verstärken solle. Er schlug überdies vor, dass die Anklageerhebung künftig im Rahmen eines öffentlichen Verfahren erfolgen solle, und dass über die Beugehaft künftig ein Richterkollegium entscheiden soll. Auch ist die Einführung verstärkter Rechte für die Verteidigung vorgesehen.

Dem Projekt widersetzen sich bereits die Linksopposition sowie die Richter selbst. Mehrere Dutzend Richter und Anwälte demonstrierten vor Beginn des Rede Sarkozys auf der Freitreppe vor dem Pariser Justizpalast gegen das Reformprojekt. Sie fordern die Einberufung von "Generalständen der Justiz" und äußerten insbesondere die Befürchtung, dass durch die Reform die Unabhängigkeit der Richter angegriffen werden könnte.

Justizfehler

Präsident Sarkozy untermauerte die Rechtfertigung seines Reformprojektes durch eine Reihe von Justizfehlern, die sich in Frankreich in jüngerer Vergangenheit zugetragen haben. Für Schlagzeilen und allgemeine Entrüstung sorgte insbesondere der Pädophilie-Fall von Outreau, bei dem ein Untersuchungsrichter Jahre lang mehrere Unschuldige hinter Gitter brachte. Einer der irrtümlich Verdächtigten starb im Gefängnis. Sarkozy beauftragte eine Expertenkommission mit der detaillierten Ausarbeitung der Reform. Diese soll nach Angaben des Präsidenten der Nationalversammlung, Bernard Accoyer (UMP), dann im Parlament debattiert werden. (APA/AFP)