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Pendel zwischen Wiener Klassik und Moderne - die japanische Pianistin Mitsuko Uchida.

 

 

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Mit Mozart hat sie sich einen Namen gemacht - Anfang der 1980erJahre, als sie in der Londoner Wigmore Hall einen Zyklus mit seinen sämtlichen Klaviersonaten spielte - eine Rarität damals. Dabei war es Schubert, dem sie sich von klein auf nahe fühlte. "Mozart kann man nicht nahe sein!", stellt Mitsuko Uchida klar. "Man kann sich dem, was er musikalisch macht, mehr und mehr nähern, man kann ihn hin und wieder für den Bruchteil einer Sekunde spüren, aber dann ist der Augenblick wieder vorbei, und man muss ihn loslassen."

Dass sie sich dennoch für einen Zyklus mit Mozarts Klaviersonaten entschied, lag nicht zuletzt daran, dass Musikerfreunde damals meinten, die Sonaten würden deshalb selten gespielt, weil manche Werke schwach seien. Uchidas Ehrgeiz war geweckt: "Ha", dachte ich, "denen werde ich's zeigen!"

Und das hat sie. Bravourös. Heute kann sie das, was sie an Mozart schätzt, genau formulieren. "Er hatte die Gabe, Dummheit in ein transzendentales Ereignis umzuwandeln - das konnte außer ihm nur noch Shakespeare. Beethoven war regelrecht böse darüber, dass Mozart mit Così fan tutte eine Oper über die menschliche Dummheit geschrieben hat." Das Operngenie Mozart findet Uchida auch in seiner Klaviermusik. "Für mich ist jedes Mozart-Stück an Charaktere gebunden. Überall finden sich Szenen aus dem Menschenleben, auch ganz alltägliche. Wenn ich Mozart spiele, mache ich Oper."

Verhasstes Klavier

Der Mut zur eigenen Überzeugung wuchs bei Mitsuko Uchida erst im Laufe des Lebens. 1948 im japanischen Küstenort Atami, nahe Tokio, als jüngstes von drei Kindern eines Diplomaten geboren, saß sie - wie ihr älterer Bruder - mit drei Jahren zum ersten Mal am Klavier, weniger aus Neigung, vielmehr aufgrund der Vorstellung des Vaters, es sei Teil des kultivierten Haushalts, dass die Kinder bei gesellschaftlichen Anlässen Klavier spielten. "Ich hasste es!", bekennt sie denn auch.

Der Zauber der Oper

Kurz nach Mitsukos zwölftem Geburtstag wurde der Vater nach Wien versetzt - und das wurde zu einem musikalischen Wendepunkt. Innerhalb einer Woche saß sie zum erstenmal in der Staatsoper. Am Pult: Herbert von Karajan. Der Zauber, den sie in der Oper erlebte, blieb ihr aber in Klavierabenden vorerst verschlossen. "Ich fand die Pianisten langweilig und glaubte, der Grund dafür sei mein mangelndes Talent."

Uchida wurde Schülerin Richard Hausers. Mit vierzehn gab sie ihr erstes Konzert. Der gestrenge Lehrer war zufrieden, Uchidas Zweifel blieben aber: "Als er mich nach dem Konzert fragte, ob ich denn nun wisse, dass ich Pianistin werden wolle, war meine Antwort: 'Nein'." 1964 führte die Diplomatie den Vater nach Köln. Die Tochter aber blieb in Wien. Ein Schubert-Abend mit Wilhelm Kempff brachte schließlich die "innere" Wende. "Die G-Dur-Sonate war vom ersten bis zum letzten Ton so wunderbar, dass ich mir sagte: 'Wenn Klaviermusik so klingen kann, dann ist es den Versuch wert, Pianistin zu werden.'"

Dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, zeigte sich bald. 1969 gewann sie den Wiener Beethoven-Wettbewerb, ein Jahr später war sie Zweite beim Chopin-Wettbewerb in Warschau, desgleichen 1975 in Leeds. Zehn Jahre war Wien Mitsuko Uchidas Basis, bevor sie nach London übersiedelte, prägende Jahre, nicht nur für die Interpretation der Wiener Klassik. "Ohne Wien würde ich sicher anders spielen. Ganz sicher spielt diese Sozialisation eine wichtige Rolle für meinen Schubert und für Berg, Schönberg und Webern. Nicht für Mozart, der ist universell, aber für die Zweite Wiener Schule muss man einfach diesen Dreivierteltakt und die besondere Weichheit der Wiener Musik verinnerlicht haben."

Umgang mit Zeitgenossen

Bei der diesjährigen Salzburger Mozartwoche wird sich Mitsuko Uchida nicht nur als Solistin und als Kammermusikerin (mit dem Hagen Quartett) mit Mozarts musikalischen "Charakteren" auseinandersetzen - vielmehr wird sie auch Zeitgenössisches von Pierre Boulez und György Kurtàg interpretieren. Die Tür zum Umgang mit der Musik nach der Zweiten Wiener Schule hat sich einst auch schon in Wien geöffnet. Uchida erinnert sich dabei an eine Anekdote Richard Hausers, der Schüler Weberns war: "Eines Tages sei er zu früh zum Unterricht gekommen, die Tür zu Weberns Arbeitszimmer habe halb offen gestanden und er habe heimlich zugehört, wie Webern seine Variationen spielte - und es habe geklungen wie hochromantische Musik. Als Webern ihn bemerkt habe, hätte er gesagt: Nicht wahr, das rauscht wie bei Chopin?"

Auf Diskussionen, ob zeitgenössische Musik missverstanden werde, mag sich Mitsuko Uchida nicht einlassen. Sie meint schlicht: "Ach, ich halte es mit Pierre Boulez. Der sagt immer, Kompositionen sind wie Kinder - man weiß nie, wie sie sich benehmen werden. Es gibt kein richtig oder falsch. Was zählt, ist nur, dass man die Musik ehrlich erlebt." (Petra Haiderer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.1.2009)