Wien - Es gehört zu den Paradoxien der Oper an sich, gerade von ihr, dieser artifiziellen Kunstform, Glaubwürdigkeit und Echtheit einzufordern. Nichts anderes als ebendiese Glaubwürdigkeit muss auch Ferruccio Furlanetto (als Boris Godunow) vorgeschwebt sein, bei seiner Studie schuldbeladener, zerbröckelnder Macht.
In Yannis Kokkos' düsterer Mussorgski-Inszenierung ist er das intensive Zentrum der Tragik. Und ob nun öffentliche Machtpose, private Gebrochenheit oder ein finaler Zusammenbruch - Furlanetto versprüht premierenwürdige Dringlichkeit, lässt Spiel und Gesang effektvoll verschmelzen.
Um den zerbrechenden Zaren herum herrscht zwar viel glanzlose Routine und Überforderung, aber auch kostbare individuelle Momente. Insbesondere wäre da Elisabeth Kulman (als kapriziös-kühle Marina) zu nennen, aber auch Ain Anger (als Warlaam), Laura Tatulescu (als Xenia) und Jorma Silvasti (als Schuiski). In Summe also kein durchgehend fulminanter, aber ein guter Abend mit sehr respektablen Einzelszenen.
Dirigent Sebastian Weigle, der Bayreuth-erprobte neue Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, war dem Ganzen ein rücksichtsvoller Begleiter. Zügig trieb er die Sache voran, mitunter sehr auf den Schönklang des Opernorchesters bedacht. Fallweise die dem Sujet angemessene Schärfe und Grobheit der Dissonanzen noch mehr zu betonen hätte das Ganze, ja, noch glaubwürdiger gemacht. (Ljubiša Tošić / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.1.2009)