Jerusalem/Berlin - Die islamisch-fundamentalistische Hamas, die nicht davor zurückschrecke, die eigene palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen als "Märtyrer" zu opfern, wäre nach Auffassung des israelischen Historikers Moshe Zimmermann nie an die Macht gekommen, wenn Israel sie nicht gegen die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) ausgespielt hätte. Die israelische Politik habe entscheidend zur Diskreditierung der PLO-Führung in der palästinensischen Bevölkerung beigetragen, schrieb der Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem in einem Beitrag für den Berliner "Tagesspiegel" (Freitag).

Zimmermann fordert eine "Ursachenforschung, die weiter zurückgeht als bis zu den Kassam-Raketen im Süden Israels oder zum Rückzug aus Gaza" (2005) und verweist auf die Beiträge der israelischen Politik zum schrittweisen Scheitern des Oslo-Friedensprozesses seit 1995: "Nach der Ermordung von Ministerpräsident Yitzhak Rabin waren nicht nur die Extremisten unter den Palästinensern, sondern auch die israelischen Regierungen eher darum bemüht, diesen Prozess aufzuhalten, ja, zum Erliegen zu bringen, als ihn voranzutreiben."

Siedlungsideologie

"Die israelische Politik nach Oslo schwächte nicht die radikalen Kräfte unter den Palästinensern, sondern stärkte sie, und die Siedlungspolitik, oder besser: die Siedlungsideologie, garantierte die Fortsetzung des Konflikts auch in der Westbank. Mit einer anderen Politik hätten die Raketen aus Gaza vielleicht vermieden werden können. Stattdessen haben sich die israelischen Regierungen und die Hamas-Extremisten gegenseitig hochgeschaukelt; das Ergebnis ist der Raketenbeschuss aus Gaza. So komplex ist das, was die Kritiker aus dem rechten Flügel 'Wirklichkeit' nennen", betont der Historiker.

Die zu Lachnummern erklärten Linksintellektuellen in Israel würden "zur Geisel der israelischen Vergeltungspolitik: Sie sorgen sich wie alle anderen um die von Hamas-Raketen terrorisierte Bevölkerung, werden aber als Verräter oder zumindest als weltfremd gebrandmarkt, wenn sie auf den irrtümlichen Weg in die Misere hinweisen. Sie sind die Geiseln der Wirklichkeit, vor der sie gewarnt haben, Geiseln der von anderen geschaffenen vollendeten Tatsachen - und ausgerechnet sie werden als wirklichkeitsfremd beschuldigt. Sich aus diesem Dilemma zu lösen, ist äußerst schwierig", schreibt Zimmermann. (APA)