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Soldaten bewachen das Silivri-Gefängnis etwa 70 Kilometer westlich von Istanbul, in dem sich jene angeblichen Verschwörer der Gruppe Ergenekon befinden, denen nun der Prozess gemacht wird.

Foto: Reuters/Fatih Saribas

Das türkische Militär protestierte gegen die Verhaftung von angeblichen Verschwörern der Organisation Ergenekon. Denn unter ihnen sind Exgeneräle, die 1997 die Regierung von Erbakan stürzten.

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Die Auseinandersetzung zwischen der Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan und einem Teil der alten Elite des Landes, erreicht in diesen Tagen einen neuen Höhepunkt. Nachdem am Mittwoch im Zuge der Ermittlungen gegen angebliche potenzielle Putschisten der Geheimorganisation Ergenekon erneut 37 Verdächtige verhaftet worden waren, protestierte am Donnerstag offiziell das Militär. Gestern, Freitag, deckte die Polizei dann ein Waffenlager in einem Wäldchen bei Ankara auf.

Zu den Verhafteten von Mittwoch gehören eine Reihe ehemals führender Militärs, ein hoher Polizeioffizier, Richter, Staatsanwälte und ein Journalist. Ein gemeinsames Merkmal der Verhafteten ist, dass sie fast allesamt an dem Sturz der Regierung von Necmettin Erbakan 1997 beteiligt waren. Erbakan ist die Gründungsfigur des politischen Islam in der Türkei und schaffte es 1996, in einer Koalition mit Tansu Çillers konservativer Partei des rechten Weges, Ministerpräsident zu werden. Er konnte sich jedoch nur ein knappes Jahr im Amt halten, weil das Militär auf den damaligen Nationalen Sicherheitsrat so viel Druck ausübte, dass die Koalition platzte. Seine Wohlfahrtspartei wurde verboten, ihm selbst wurden seine politische Rechte aberkannt.

Man nennt diese Militärintervention den 28.-Februar-Prozess. Der heutige Staatspräsident Abdullah Gül war damals Minister in der Regierung Erbakan, Erdogan eine prominente Figur der Refah-Partei. Die jetzt verhafteten Exgeneräle Tuncer Kilinç, Kemal Yavuz und Erdal ªenel waren Schlüsselfiguren im 28.-Februar-Prozess. Der Polizeioffizier Ibrahim ªahin, bei dem nun angeblich der Plan zu dem Waffenlager gefunden wurde, ist dagegen ein früherer Chef jener Antiterroreinheiten, auf deren Konto etliche Morde im Kampf gegen die PKK gehen.

Völlig überraschend war einen Tag nach den Verhaftungen dann am Donnerstag Generalstabschef Ilker Baºbug bei Erdogan vorgefahren, um fast zwei Stunden unter vier Augen mit ihm zu sprechen. Diese Intervention ließ sofort die Vermutung aufkommen, der Militärchef setze Erdogan unter Druck, um die Freilassung der militärischen Topleute durchzusetzen. Anschließend suchte Babug auch noch Präsident Gül auf, während Erdogan bis in die Nacht mit seinem Innen- und Justizminister tagte. Während die Öffentlichkeit am Freitag auf eine Reaktion auf das Vorpreschen der Militärführung wartete, konterte die Polizei mit der Aufdeckung des Waffenlagers.

Hatte es am Donnerstag noch bei vielen Kommentatoren geheißen, die AKP-Führung gehe im Zuge der Ergenekon-Ermittlungen nun offenbar dazu über, sich an ihren früheren politischen Gegnern zu rächen, sind diese Stimmen nun vorerst wieder verstummt. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.1.2009)