Foto: Landesmuseum Bregenz

Als man heftig um Gemeinsamkeiten warb: Vorarlberg, 1919, vor dem Sprung in die Eidgenossenschaft.

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Bregenz - Alles das jährt sich in diesen Wochen und Monaten zum 90. Mal: das Ende des Ersten Weltkriegs, die revolutionären Veränderungen in Europa, das Ringen um eine politische Neuordnung, erträgliche Friedensbedingungen. Österreich, dieses Restrumpfterritorium, schien kaum zukunftsfähig; die provisorische Nationalversammlung erklärte das neue Staatswesen auch umgehend zu einem "Bestandteil der Deutschen Republik" - was aber bald von den Siegermächten verboten wurde.

Mehrheitlich katholisch und konservativ

Auch im äußersten Westen der k. u. k. Konkursmasse wurde die staatliche Zugehörigkeit heftig diskutiert. 140.000 Menschen lebten in Vorarlberg, mehrheitlich katholisch und konservativ. Für sie waren Wien und Berlin geografisch weit entfernt und auch politisch suspekt: Horte von Revolution und Gottlosigkeit. Wie nah hingegen lag - von ihnen aus gesehen - die stabile, neutrale, wirtschaftlich prosperierende Eidgenossenschaft! Vor dem Hintergrund der sozialen Not und einer ungewissen Zukunft konnte sie einem leicht als ein gelobtes Land vorkommen.

Da mochte die Linke vor der Schweiz warnen als "durch und durch kapitalistischer Bürgerrepublik, in welcher sich die Arbeiterschaft auch noch so kümmerliche Rechte nur durch erbitterte Kämpfe holen kann"; da mochten das entgegengesetzte Lager von einer künftigen Heimstatt für "den ganzen Alemannenstamm" oder "Groß-Schwaben" fantasieren: Am weitaus stärksten wurden in diesem Landstrich nach dem Ersten Weltkrieg jene Kräfte, die zu den linksrheinischen Nachbarn strebten.

Kristallisationspunkt dieser Bewegung war ein "Werbeausschuss für den Anschluss Vorarlbergs an die Schweiz". Er trug Unterschriften zusammen, organisierte Versammlungen selbst in entlegenen Dörfern und beschwor Gemeinsamkeiten. Zuweilen bot man rabiat Antisemitisches: Auf Pamphleten war es "der Wiener Judenstaat, von dem wir uns unter allen Umständen trennen wollen". Die Agitatoren entfalteten eine Breitenwirkung, die führenden Landespolitiker gerieten unter Zugzwang.

Zuwarten und Taktieren

Am 11. Mai 1919 fand in Vorarlberg eine Volksabstimmung statt. Dabei sprachen sich 80,6 Prozent der zu den Urnen Geeilten für Verhandlungen mit Bern aus. Die umworbenen Schweizer reagierten auf die heftigen Avancen mit Zuwarten und Taktieren. Ein Komitee Pro Vorarlberg sammelte emsig Unterschriften für eine Gesetzesinitiative; der Gebietszuwachs brächte für Eisenbahnverkehr und Landesverteidigung Vorteile. Die Gegner wiederum sorgten sich um die sprachpolitische und konfessionelle Balance der calvinistischen Schweiz. Auch enorme finanzielle Belastungen spielten eine Rolle.

Nach dem Friedensvertrag von Saint-Germain und im Zuge einer gewissen Konsolidierung der Verhältnisse verlor die Vorarlberg-Debatte an Schwung. Der Bundesrat der Eidgenossenschaft gab seinem Wunsch Ausdruck, dass die neue Republik "lebt und sich entwickelt". In Sachen Vorarlberg wollte Bern nur aktiv werden, wenn sich Österreich "gegen den Wunsch der Schweiz" auflöse. (Christian Schnitzler/DER STANDARD-Printausgabe, 10./11. Jänner 2009)