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Wiener Demonstration gegen Israels Angriffe auf Gaza: „Es geht gegen die Zionisten, nicht gegen die Juden."

Foto: AP Photo/Ronald Zak

Der Gaza-Krieg versetzt Muslime vom alteingesessenen Türken bis zum frommen Araber in Rage. Allerorts wird der Schulterschluss beschworen - gegen die "Juden" und ihre mutmaßlichen Handlanger im Westen.

Wien - Es gibt Augenblicke, da zweifeln sogar brave Muslime am Allmächtigen. Etwa, wenn das Fernsehen diese Bilder aus Gaza zeigt: zerbombte Häuser, heulende Sirenen und immer wieder blutverschmierte Kinder. "Gott hat ihnen stets geholfen" , sagt ein pensionierter Straßenbahner, der sich ein Palästinensertuch um den Hals geschlungen hat: "Doch die Juden sind ein undankbares Volk. Es sind immer nur sie, die mit ihrer Gier Probleme machen."

Krisenschauplatz Favoriten, ein vom Antirauchergesetz unbehelligtes Kellerlokal. In der Luft hängt der süßliche Duft von Wasserpfeifentabak, an der Wand die Fahne Palästinas neben Kitschpostern mit Palmenidylle. Gebannt verfolgen Gäste die Gräuelberichte, die Al-Jazeera in Endlosschleifen aus dem Nahen Osten sendet. "Alle sind beschäftigt" , versucht der junge Wirt aus Jordanien am Eingang noch zu bremsen. Doch da lädt eine Gruppe gebürtiger Tunesier den Journalisten schon zu ihrem Tisch.

"Das ist der Beweis" , ruft der Straßenbahner und deutet zum Fernseher: "Sehen Sie, was die mit den Kindern machen?" Sein Sitznachbar pflichtet bei: "Wenn du einen Hund im Auto einsperrst, kommen Polizei, Feuerwehr und Tierschutzverein. Nun werden Menschen in einem Käfig bombardiert, und keiner tut was." Eine "Schande für die Menschheit" nennt das der Dritte in der Runde, der Restaurantbesitzer Mohammed - und schimpft über den Westen, der die Hamas als Verbrecher abstemple, weil sich diese als Einzige nichts von Israel "diktieren" lasse. Aber ist die Hamas nicht auch eine islamistische Terrororganisation, die mit ihren Raketen mutwillig Gewalt sät? "Die Raketen sind doch harmlos" , wendet Mohammed ein: "Das ist ein Krieg von Panzern gegen Steinewerfer."

"Es gibt überhaupt keinen islamischen Terror" , versichern die drei: "Unsere Religion macht das unmöglich." Al Kaida gilt ihnen als Hirngespinst westlicher Köpfe, Anschläge wie jener vom 11. September als Inszenierung des amerikanischen Geheimdienstes, um Muslime anzuschwärzen. "Und wir wissen ja, wer Amerika regiert" , erläutert einer bei allgemeinem Kopfnicken: "Die Juden."

Man muss nicht lange bohren, um auf derartige Theorien zu stoßen. Zu hören bekommt sie, wer in Zuwandererklubs oder Kebabrestaurants nachfragt. Oder auf einer jener Demos, die dieser Tage durch Wien ziehen.

Es ist ein wilder Haufen, der an diesem eisigen Nachmittag am Ballhausplatz protestiert: zornige Linke mit roten Fahnen, fromme Muslime mit wuchernden Bärten, alteingesessene Zuwanderer, die es alle heiligen Zeiten in die Moschee verschlägt. Manche kommen in bunte Peace-Flaggen gehüllt, andere skandieren "Kindermörder Israel" und schwenken Tafeln, die den Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichsetzen. Ein "Stopp des Massakers" und humanitäre Hilfe werden auf der Bühne gefordert, Palästinenservertreter Mustafa Hadi ruft: "Nieder mit Israel!"

Ein paar Meter weiter setzen junge Demonstranten den Appell symbolisch in die Tat um. "Allahu Akbar" schreien sie, als sie auf einer brennenden Israel-Fahne herumtrampeln. Seine Motivation erklärt einer der Burschen, ein türkischstämmiger Österreicher, dann auf lupenreinem Wienerisch: "Es geht gegen die Zionisten, nicht gegen die Juden."

Warum versetzt gerade der Konflikt in Palästina Muslime aller Schichten und Altersgruppen in Rage? Weil dieser immer noch als koloniale Bevormundung begriffen werde, meint der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker: "Angelagert haben sich aber auch antisemitische Vorstellungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus Europa importiert wurden." Seit die Auseinandersetzung in den 60ern und 70ern schließlich "islamisiert" wurde, werde sie "weltweit als Angriff auf Muslime wahrgenommen" . Gefördert wird das Wir-Gefühl durch die großen arabischen Medien - und durch den "Alltagsrassismus" im Westen, sagt Lohlker: "Diskriminiert kann ich mich als Muslim hier jederzeit fühlen."

"Wir sind jetzt eine Gemeinschaft, und die Gemeinschaft wird siegen" , proklamieren auch Prediger wie der prominente Imam Adnan Ibrahim (siehe Artikel unten). Im Favoritener Kellerlokal stoßen solche Parolen auf offene Ohren - wobei unter "Sieg" nicht alle dasselbe verstehen. "Eines Tages wird Israel vernichtet" , prophezeit einer: "Ich bin kein Nazi. Aber Hitler hat vorausgesehen, was die Juden anrichten werden." Das geht manchem dann doch zu weit. "Die Israelis werden Hass ernten" , meint der Gasthausbesitzer Mohammed: "Aber auch sie brauchen Platz. Man wird das Land teilen müssen."

Zu später Stunde, Zorn und Wasserpfeifen kühlen allmählich ab, spricht ein junger Jordanier mit Wurzeln in Palästina sogar Ketzerisches aus. "Die Korruption der Fatah, die Raketen der Hamas: Auch unsere Seite macht Fehler" , sagt er mit Blick auf den Fernseher: "Und wir sollten nicht alles glauben, was wir sehen." (DER STANDRD, Gerald John, Printausgabe, 13.1.2009)