Wien - Es gab - mit Blick auf die vielen Literaturpreise, die ihm während der 1960er und 1970er-Jahre wie selbstverständlich zugesprochen wurden - keinen undankbareren Preisempfänger als Thomas Bernhard. Ganz gleich, welche Institution sich bemühte, ihn für seine unvergleichliche Literatur mit einem Preis zu bedenken: Sie musste mit Proben seiner nachlässigen, ja geradezu gehässigen Ablehnung rechnen. Bernhard ging mit denjenigen am härtesten ins Gericht, die ihm Gutes tun wollten.
Was aber wäre aus Thomas Bernhard (1931-1989) geworden, wenn ihn die von ihm so sehr gering geschätzten Institutionen tatsächlich mit Nichtbeachtung gestraft hätten? Bernhard, so ist es in den um 1980 verfassten Prosastücken von Meine Preise faszinierend nachzulesen, genoss die ihm zuteil werdende Anerkennung durch Preisstifter durchaus.
So kaufte er sich für die Entgegennahme des "Grillparzerpreises" 1971 einen (natürlich zu engen) Anzug bei "Sir Anthony" am Wiener Kohlmarkt. Geschäfte wie den besagten, durchaus kostspieligen Salon kennt der "Parvenü" vom Sockenerwerb. Es sind diese Irrtümer bei der Kleidergröße, die vielleicht die Essenz von Bernhards lebenslangem Auszeichnungsüberdruss ausmachen.
Niemand, der einen Preis auslobt, kann damit rechnen, Bernhards Größe auch nur annähernd gerecht zu werden. Bernhard bleibt sich selbst die schlechthin inkommensurable, die unersetzbare Konstante: Er ist derjenige, der er ist. Literatur, wie sie Bernhard schreibt, ist für ihn selbst voraussetzunglos. Es gibt für ihn als Meteoriten keine Herkunft: keinen Ursprung, keinen Begnadungskontext. Sieht man womöglich von der Litanei des weggelegten Kindes ab, das sich - nach Absolvierung einer Salzburger Kaufmannslehre - als Literaturproduzent im alpenvorländischen Lodenmantel grandios neu zu erfinden verstand.
Auf engstem Raum werden in Meine Preise Bernhards Triumph und Elend als das sichtbar, was sie sind: Seiten ein- und derselben, jeweils verführerisch funkelnden Medaille. Der Autor Thomas Bernhard, dieser Verfertiger nicht enden wollender Litaneien über Tod und schwer erträgliches Lebensleid, ist sozial nicht vermittelbar. Er entspringt "naturgemäß" einem Boden, der diffus bäuerlich riecht und notdürftig weltkleinstädtisch wirkt.
In dieser nach Düngemitteln riechenden Voraussetzungslosigkeit - die Bernhard der Zweiten Republik später gnadenlos zum Vorwurf machen sollte! - liegt sein wahrer Triumph: Er, der einst missachtete Bierfahrer und geschmähte Lokalreporter im Salzburgischen, kann einen Kulturminister wie den wackeren Theodor Piffl-Perèević (VP) 1968 anlässlich der Überreichung des "kleinen" Österreichischen Staatspreises für Literatur tatsächlich bis zur Weißglut reizen.
"Stumpfsinn und Heuchelei" , weiß Bernhard, der als Dankesredner ein paar Sätze über die "Lächerlichkeit" zusammengeklaubt hat, behaglich zu konstatieren. Und der Weltautor kartet viele Jahre später erbarmungslos nach: Es mag immerhin so gewesen sein, dass Piffl-Perèević "etwas von steirischen Kälbern und Kühen und von obersteirischen Schweinen und untersteirischen Mistbeeten" verstanden habe.
Er, Bernhard, weiß es besser. Er verwendet zwar die erhaltenen Preisgelder für die Anzahlung von Vierkanthöfen und für das Einsetzen neuer Fensterkreuze. Aber er sitzt, als Weltautor in Schlagdistanz zum Weltgeist, am längeren Prosaast. Er sagt: "Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt." Und der Tod ist ein Meister in kursiv gestellten Lettern. Bernhard, der seine Dankesreden am Frühstückstisch unkonzentriert zusammenzustellen pflegte, brauchte in Wahrheit keinen Zuspruch durch solche, die ihn auszuzeichnen wünschten.
Mit Meine Preise ist ein ergötzlich lesbarer Band dieses eigensüchtigen Riesen doch noch greifbar geworden - die schlankesten Bernhard-Sätze, gemünzt auf sein eigenes, lebenslanges Dilemma: "Ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein". (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 13.01.2009)