Gregor Postl ist Handelsdelegierter in Kiew.

Foto: WKÖ

STANDARD: Momentan fließt gerade wieder ein bisschen Gas von Russland in die Ukraine. Eine Einigung im Gasstreit ist jedoch noch in weiter Ferne. Sind die offenen Streitpunkte wirtschaftlicher oder politischer Natur?

Postl: Beide Gesichtspunkte spielen eine Rolle. Wirtschaftlich argumentiert die Ukraine mit dem gefallenen Erdölpreis, von dem ja der Gaspreis zeitverzögert abhängt. Und bei fallenden Ölpreisen ist die Ukraine nicht bereit, über 400 US-Dollar für 1000 Kubikmeter Gas zu zahlen. Das ist auch wirtschaftlich nicht machbar. Die Finanzkrise hat die ukrainische Wirtschaft stark getroffen. Dass der Internationale Währungsfonds der Ukraine einen Hilfskredit von 16,5 Milliarden US-Dollar gewährt hat, zeigt auch, dass das Land eine große Unterstützung braucht. Jeder Dollar, den die Ukraine weniger fürs Gas zahlt, fällt ins Gewicht.

STANDARD: Und die politischen Aspekte?

Postl: Darunter fallen vermutlich die Bestrebungen der Ukraine, der Nato beitreten zu wollen, sowie der Streit um den Verbleib der russischen Schwarzmeerflotte bis 2017. Da kann ich mir schon vorstellen, dass Russland ein Signal setzen wollte, dass es die Ukraine nicht so leicht in Richtung Westen ziehen lassen will. Und schon gar nicht in ein Militärbündnis.

STANDARD: Wer wird aus diesem Streit als Sieger hervorgehen?

Postl: Das ist schwer zu sagen. Es ist auch ein Medienkrieg wie damals beim Einmarsch Russlands in Georgien. Russland hat vielleicht mehr Erfahrungen in der Medienarbeit. Aber es wird schwer sein festzustellen, wer denn wirklich die Schuld daran hat, dass kein Gas nach Europa kommt. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen.

STANDARD: Hat die Ukraine aus diesem Streit einen Imageschaden davongetragen? Gibt es bereits Unternehmensanfragen, die die politische Stabilität und die Zuverlässigkeit der Ukraine infrage stellen?

Postl: Ja, es werden schon manche Frage in diese Richtung gestellt. Aber die Unternehmen interessieren sich mehr für die wirtschaftlichen Aspekte. Die Ukraine ist zwar ein Land mit hohem Risiko, aber dafür sind auch die Renditen hoch.

STANDARD: Spüren die Unternehmen in der Ukraine bereits Auswirkungen der Gaskrise?

Postl: Bis jetzt noch nicht. Aber nachdem die Finanzkrise auch die Realwirtschaft getroffen hat, haben einige Unternehmen bereits davor ihren Betrieb runtergefahren. Außerdem war aufgrund der orthodoxen Feiertage erst vorgestern der erste volle Arbeitstag.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, dass eine Konfliktlösung darin besteht, dass die Ukraine ihr Gastransportnetz an Russland abtritt?

Postl: Nein. Das ist ein sehr sensibler strategischer Bereich. Die Ukraine würde sich dadurch noch mehr in die Abhängigkeit Russlands begeben. (Verena Diethelm, DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2009)