Jubiläen sind zum Streiten da, nicht zum Feiern. Gerade eben hat das Darwin-Jahr begonnen, schon geraten sich zwei deutsche Wissenschafter heftig in die Haare. Stein des Anstoßes ist das wissenschaftliche Sachbuch Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus (Hoffmann & Campe 2008) des Freiburger Mediziners und Neurobiologen Joachim Bauer. Das Buch erschien im Herbst, wurde meist sehr freundlich besprochen und verkauft sich dazu noch sehr gut.
Sehr zum Ärger des Konstanzer Evolutionsbiologen Axel Meyer. Der Titel seiner als Rezension getarnten Polemik (erschien am 4. Dezember im deutschen Handelsblatt). "Dummes Zeug über Darwin" war noch das Freundlichste, was er über Bauers Buch zu sagen hatte. Meyer ortet "tiefstes Unverständnis und oberflächlich angelesenes Halbwissen", Bauer würde bei ihm durch die Prüfung rasseln.
Streit um die Deutungshoheit
Bauers erzürnte Replik im Handelsblatt ließ nicht lange auf sich warten. Dieses "intolerante Gehabe" erinnere ihn an "Ayatollahs": Meyers Argumente seien von "rosenkranzartiger Schlichtheit", offensichtlich überblicke er die neuere Forschung nicht.
Was bewegt zwei gesetzte deutsche Professoren, einander derart mit Nettigkeiten zu bedenken? Es geht um die Deutungshoheit über die Evolutionstheorie. Bauer sei Mediziner und "bisher eher durch populärwissenschaftliche, psychosomatisch angehauchte Bücher" aufgefallen, ätzt Meyer. Bauer hingegen verkündet großmundig den "Abschied vom Darwinismus" und ist wenig überrascht, dass "dogmatische Evolutionswächter" wie Meyer alarmiert aufschreien.
In seinem Buch versucht er zwei "Dogmen" zu verabschieden. Die zufällige Mutation des Erbguts und die natürliche Selektion seien nicht die wesentlichen Triebkräfte der Evolution. Zu diesem Zweck fasst Bauer neuere Forschungen aus der Molekularbiologie - nun sagen wir - sehr pointiert zusammen.
Er verweist auf mehrere Mechanismen, mit denen die Zellen selbst den Umbau der DNA "aktiv" vorantreiben. Dazu gehören etwa die sogenannten Transpositionselemente, die Gene verdoppeln, rekombinieren und verschieben. Die sogenannte Mikro-RNA wiederum vermag Gene "abzuschalten". Die Zelle gebe gezielt bestimmte Abschnitte der DNA zur Mutation "frei", während für die Stabilität entscheidende Gene gesichert würden.
Zufällige Punktmutationen, das heißt der Austausch einzelner Basen, spielten fast keine Rolle. Damit könnten sich Organismen sehr schnell an etwaige Veränderungen ihrer Umwelt anpassen. Neue Arten entstünden daher sprunghaft. Das Aussterben von Arten beschränke sich fast ausschließlich auf die wenigen "mass extinctions" der Erdgeschichte.
Die vom Standard befragten Biologen äußern sich überwiegend kopfschüttelnd. Arten sterben ständig aus, natürliche Selektion bleibe der entscheidende Mechanismus, wendet der US-Biologe Sean Carroll ein, der Autor von Die Darwin-DNA. Wie die neueste Forschung die Evolutionstheorie bestätigt (S. Fischer 2008). Die von Bauer genannten Mechanismen seien letztlich ebenfalls nur Mutationen, widerspricht auch die Wiener Molekularbiologin Andrea Barta, von einer Verabschiedung des Darwinismus könne keine Rede sein.
"Die immer besser bekannten Regelmechanismen innerhalb der DNA besagen noch lange nicht, dass bestimmte Abschnitte der DNA deterministisch für Mutationen freigeschaltet oder gesperrt werden", so Kurt Kotrschal von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für Ethologie in Grünau.
Biologen stört, dass Bauer der Zelle gleichsam Absichten unterstellt. Unklar bleibt jedenfalls, ob die Rede vom "kooperativen Gen" rein metaphorisch zu verstehen ist. Denn Gene tun an sich nichts, sie werden nur an- und ausgeschaltet. Sicher ist nur, dass Bauer sein Buch als Gegenentwurf zu Richard Dawkins' einflussreichem Bestseller Das egoistische Gen (1976) versteht. Und dass er mit seiner Betonung von Kooperation und Kommunikation die Sensibilitäten eines Publikums bedient.
Gemeinsinn statt Egoismus
Was kann erbaulicher sein, als zu zeigen, dass die Natur letztlich nicht durch Egoismus, sondern Gemeinsinn bestimmt wird. Im vergangenen September präsentierte Bauer vor mehreren hundert Zuhörern im Kardinal-König-Haus seine Thesen. Um es böse auszudrücken: Gutmenschen lieben ihn. (Oliver Hochadel/STANDARD,Printausgabe, 14.1.2009)