Tel Aviv/Gaza - Die israelische Armee hat ihre Operationen im palästinensischen Gazastreifen fortgesetzt und Hamas-Kämpfern am frühen Mittwochmorgen heftige Kämpfe geliefert. Die Luftwaffe griff erneut Ziele im Süden des Küstengebiets an, bei einem Luftangriff in der Stadt Gaza kam mindestens ein Palästinenser ums Leben. Seit Beginn der israelischen Offensive am 27. Dezember wurden annähernd tausend Palästinenser getötet. In Rafah nahe der ägyptischen Grenze flohen nach Angaben der Hilfsorganisation CARE Hunderte Menschen in Panik vor den israelischen Luftangriffen. Laut einer Recherche der israelischen Tageszeitung Haaretz gibt es innerhalb der israelischen Regierung Unstimmigkeiten über den weiteren Verlauf der Offensive. Während sich Verteidigungsminister Ehud Barak von der Arbeiterpartei für eine einwöchige "humanitäre Waffenruhe" ausspricht, blockiere Premier Ehud Olmert von der Kadima-Partei ein Treffen mit Kabinettskollegen, um die Kämpfe weiter führen zu können.
Barak: Meiste Ziele erreicht
Israels Verteidigungsminister Ehud Barak sagte, die meisten Ziele der Militäroffensive seien erreicht, "aber wahrscheinlich nicht alle". Regierungschef Ehud Olmert hat nach Angaben eines ranghohen Regierungsbeamten zwei Ziele für die Offensive definiert. Dies sei zum einen, die Beschüsse und den Terror durch die Hamas zu beenden, sagte der Regierungsvertreter dem Nachrichtenportal ynet. Zum anderen solle die militärische Struktur der radikalen islamischen Organisation zerstört werden. Solange diese Ziele nicht erreicht seien, bestehe "keinerlei Druck" zur Beendigung des Militäreinsatzes. Israel hatte am Freitag ebenso wie Sprecher der Hamas die Forderung des UNO-Sicherheitsrates nach einer sofortigen Waffenruhe zurückgewiesen. Die völkerrechtlich bindende Resolution 1860 war in New York von 14 Ratsmitgliedern, darunter Österreich, bei Stimmenthaltung der USA verabschiedet worden. In der Entschließung des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen wurde Israel aufgefordert, sich vollständig aus dem Palästinensergebiet zurückzuziehen. Zudem müssten dort Bedingungen geschaffen werden, um den Waffenschmuggel zu unterbinden und die Grenzübergänge wieder zu öffnen.
Raketen aus dem Libanon treffen Norden
Zum zweiten Mal binnen einer Woche sind am Mittwoch mehrere aus dem Libanon abgefeuerte Raketen in Nordisrael eingeschlagen. Ein israelischer Polizeisprecher sagte, außerhalb der Stadt Kiryat Shmona an der Nordgrenze seien drei Katjuscha-Raketen explodiert, es gebe weder Sachschaden noch Verletzte. Ein Armeesprecher erklärte, Israel mache die libanesische Regierung und die libanesische Armee verantwortlich für die Angriffe.
Der Sprecher erklärte, die Armee habe mit Artilleriefeuer auf die Raketenangriffe reagiert. Nach libanesischen Angaben schlugen die Granaten in mehreren grenznahen libanesischen Dörfern ein. Verletzt wurde nach ersten Informationen niemand. Die libanesische Nachrichtenagentur NNA berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, nach den Attacken hätten mehrere Maschinen der israelischen Luftwaffe den Südlibanon überflogen.
Heftige Bodengefechte
Nach Angaben von Augenzeugen waren die Luftangriffe auf Gaza in der Nacht zwar weniger intensiv als am Vortag. Die Kämpfe am Boden hielten unvermindert an. Unterstützt von der Luftwaffe drangen israelische Spezialtruppen mit Panzern mehrere hundert Meter in Stadtbezirke Gazas vor. "Die Panzer schießen auf palästinensische Kämpfer, diese antworten mit Raketenwerfern", beschrieb ein AFP-Korrespondent die Lage in Gaza. Beide Seiten feuerten demnach auch mit Maschinengewehren. Im Stadtviertel Radwan starb nach Angaben von Medizinern und Augenzeugen ein Palästinenser bei einem Luftangriff auf ein Haus, mindestens 20 weitere Personen wurden verletzt. Bei Bombardements im Norden und Süden des Gazastreifens starben nach Angaben palästinensischer Krankenhausmitarbeiter am Dienstagabend mindestens acht Palästinenser. Darunter waren auch drei Kinder, die in Jabalia auf der Straße gespielt hatten.
Allein am Dienstag waren nach Angaben palästinensischer Rettungskräfte im Gazastreifen mindestens 70 Menschen gestorben. Seit Beginn der Offensive wurden mindestens 975 Menschen getötet und knapp 4400 verletzt. Olmert beauftragte Sozialminister Yitzhak Herzog mit der Koordinierung der internationalen Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Nach UNO-Berichten droht dort eine schwere humanitäre Krise. Am Dienstag seien 60 Prozent der Bevölkerung von der Stromversorgung abgeschnitten gewesen, teilte das UNO-Büro zur Koordination humanitärer Angelegenheiten (OCHA) mit.
Der britische Premierminister Gordon Brown zeigte sich zutiefst beunruhigt über die Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung. In Telefonaten mit Olmert und Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak rief er am Dienstagabend zu verstärkten Anstrengungen für einen Waffenstillstand auf. Die arabischen Staaten müssten sich noch deutlicher für eine Entwaffnung der Hamas stark machen, forderte Brown. Eine Delegation der Hamas reiste inzwischen zu weiteren Gesprächen nach Ägypten. Gegen Mubaraks Initiative bestünden "erhebliche Einwände", sagte der stellvertretende Hamas-Politbürochef Mussa Abu Marzouk. Es bestehe aber weiterhin die Möglichkeit, dass die Hamas den Vorschlag annehme. Dieser sieht vor: Eine sofortige Feuerpause, eine neue Waffenruhevereinbarung, Sicherung der Grenzen - gemeint ist der Sicherheitsanspruch Israels und die Waffentunnelschließung -, Öffnung der Übergänge zum Gazastreifen und Aufhebung der Blockade, sowie innerpalästinensische Versöhnungsgespräche über die Bildung einer Einheitsregierung.
Deutscher Außenminister reist abermals in das Krisengebiet
Unter dem Eindruck der sich ständig verschlimmernden humanitären Situation im Gazastreifen intensiviert Deutschland seine Bemühungen um Herbeiführung einer Waffenruhe zwischen Israel und der palästinensischen Hamas. Außenminister Frank-Walter Steinmeier werde noch am (heutigen) Mittwoch erneut nach Israel reisen, erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Jens Plötner, in Berlin. (red/APA/AFP/dpa)