Stefan Leitner-Sidl, Betreiber der Schraubenfabrik.

Foto: derStandard.at/Mark

Die Grafikerin Miriam Maslo arbeitet seit 1. September im Gemeinschaftsbüro.

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Ein Arbeitsplatz kostet zwischen 250 und 350 Euro pro Monat.

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Auf zwei Etagen gibt es 30 Mini-Büros.

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Der Wuzzler ist der heimliche "Star" der Schraubenfabrik.

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"Will wer was vom Türken? Ich bestelle jetzt", ruft jemand und erntet von den restlichen Mietern nur ein müdes Kopfschütteln oder ein leises Nein. Eine Ausnahme, denn in der Lilienbrunngasse 18 lautet die Devise "gemeinsam statt einsam". Synergien, die im Kleinen beginnen und im Idealfall bei was Großem enden, so die Intention. Zum Beispiel in Aufträgen oder sozialen Kontakten; je nachdem wie man "groß" definiert. Der Ort dafür: Die Schraubenfabrik. Mitten im Karmeliterviertel im zweiten Bezirk betreiben Stefan Leitner-Sidl und Michael Pöll die Büro-WG. 30 Arbeitsplätze stehen zur Verfügung, ab 250 Euro pro Monat kann man einziehen.

"Decke auf den Kopf gefallen"

Leitner-Sidl und Pöll gehören in Wien zu den Pionieren. Sie haben sich schon vor einigen Jahren den Trend zum gemeinschaftlichen Arbeiten zunutze gemacht. Mittlerweile sind viele auf den Zug aufgesprungen. Am Anfang stand bei den Initiatoren der Eigenbedarf, dann kam die Idee. Der Anfang war im Jahr 2002. "Wir haben ein Büro gesucht, weil wir nicht mehr im Home-Office arbeiten wollten", erzählt Leitner-Sidl, der damals gemeinsam mit seinem Partner eine kleine Markforschungsagentur führte. "Zu Hause ist uns einfach die Decke auf den Kopf gefallen." Durch Zufall sei man auf das Loft in der Schraubenfabrik aufmerksam geworden. Der ideale Platz, um ein "cooles Büro" zu verwirklichen. Mit einer Bar, Terrasse, Couchen und einem Wuzzler als "Sahnehäubchen".

Am Puls der Zeit

Am Beginn haben die zwei Unternehmer die restlichen Arbeitsplätze einfach nur weitervermietet. Kostendeckend, nicht mehr und nicht weniger, doch "nach einem Jahr hat sich herausgestellt, dass wir mit diesem Konzept einen Bedarf getroffen haben", sagt Leitner-Sidl. Vor allem in der kreativwirtschaftlichen Szene. Die Fläche wurde bald um eine Etage erweitert. Seitdem firmieren Leitner-Sidl und Pöll als "Konnex" und vermieten Arbeitsflächen, inklusive einer Portion "Lifestyle" und "Bobo-Chic".

Drei Fillialen

Weil die Räume für die große Nachfrage zu klein wurden, haben die Initiatoren 2004 noch das Gemeinschaftsbüro "Hutfabrik" in Mariahilf gegründet. 2007 ist mit dem Rochuspark im dritten Bezirk ein weiteres Unternehmerzentrum dazugekommen. Mit über 1.000 Quadratmetern und 40 Arbeitsplätzen das Größte dieser Art. "Garniert" wurde das Büro noch mit kleinen Studios, einem Atelier, Shop, Lokal und einem Veranstaltungsraum, berichtet Leitner-Sidl stolz. Jede dieser drei Dependancen ist ein Sammelsurium, wo sich Architekten, PR-und Marketing-Fachkräfte, Eventmanager, IT-Spezialisten, Unternehmensberater oder Leute aus dem Kulturbereich tummeln.

In der Schraubenfabrik herrscht wie jeden Tag geschäftiges Treiben. Ein Neuankömmling räumt gerade seine Kisten aus. Accessoires und Büromaterial aller Art werden mit viel Akribie rund um den Schreibtisch drapiert. Der Wohlfühlfaktor potenziert die Kreativität, heißt es. Im hinteren Bereich wird eifrig telefoniert. Der Lärmpegel halte sich aber normalerweise in Grenzen, berichtet ein IT-Spezialist, der vor allem die "konstruktive, ungezwungene Atmosphäre" der Bürohalle schätzt. In "normalen" Großraumbüros bekomme man von seinen Kollegen ja auch einiges mit, ob man will oder nicht.

Ein Dorf, wo viel gefeiert wird

Die Kollegen sind primär Unternehmer und seit Jahren im Geschäft. Viele haben sich schon etabliert, manche befinden sich aber noch am Rande oder sogar mittendrin im Prekariat. Theoretisch können die Leute an sieben Tage die Woche rund um die Uhr arbeiten. Jeder hat seinen eigenen Schlüssel und seinen eigenen Arbeitsrhythmus. Das wichtigste Selektionskriterium bei den Mietern ist, dass sie zur "Community passen", sagt Leitner-Sidl. Eine Büro-WG steht und fällt mit dem sozialen Aspekt: "Wir sind ein Dorf, wo sehr viel gemeinsam gefeiert wird".

Der "Community Faktor" werde durch regelmäßig stattfindende Events wie Tischfußball-Turniere, Vernissagen oder Geburtstagsfeste forciert. Wie in jeder WG gebe es einige verbindliche Regeln wie etwa "Geschirr wegräumen". Und die ganzen Räumlichkeiten sind rauchfrei. "Bis jetzt haben wir noch niemanden rauswerfen müssen", betont Leitner-Sidl. Die Gruppe fungiere als Korrektiv. Wenn sich jemand nicht an die Spielregeln hält, bekommt er den Druck des Kollektivs zu spüren.

Interdisziplinärer Austausch

Neben menschlichen Kriterien legt Leitner-Sidl bei der Auswahl der Mieter Wert auf Diversität: "Die Leute sollen nicht alle aus der gleichen Branche sein." Konkurrenz sieht auch nicht jeder als Belebung für das Geschäft. Der interdisziplinäre Austausch sei eben inspirierend und neben dem Sozialen der Hauptnutzen eines jeden Gemeinschaftsbüros. "Braucht jemand zum Beispiel einen Grafiker, dann nimmt er den aus dem Büro und engagiert keinen Externen", ist er überzeugt, dass die meisten auch geschäftlich voneinander profitieren. Wenn größere Aufträge generiert werden, kämen Kollegen oft in den Genuss von Subaufträgen.

Ein Arbeitsplatz kostet je nach Größe zwischen 250 und 350 Euro pro Monat. Internet, Festnetz, Drucker, Versicherung, Reinigung etc. sind in der Pauschalmiete inkludiert. "Die Leute müssen sich sonst um nichts kümmern", sagt Leitner-Sidl. Ein Arbeitsplatz besteht im Prinzip aus der zur Verfügung gestellten Fläche. Fürs Mobiliar sind die Mieter selbst zuständig. "Wir wollten nicht alles durchdesignen und die Arbeitsplätze einheitlich gestalten", erklärt er. So sei dieser "charmante Mix aus Alt und Neu" entstanden. Ikeas Billy trifft auf Designerstücke.

Burnout-Gefahr wird verringert

"Ich zahle hier 250 Euro pro Monat und der Stefan erledigt alles", schwärmt Miriam Maslo. Die Grafikerin hat ihren Arbeitsmittelpunkt mit Anfang September in die Schraubenfabrik verlagert. Ganz alleine in einem Büro zu sitzen oder alles im Home-Office zu erledigen, sei auf Dauer einfach "zu fad". Außerdem: "Man ist hier nicht so Burnout gefährdet", spricht sie ein Problem an, mit dem viele Ich-AGs konfrontiert sind. "Ich gehe am Abend aus dem Büro und die Arbeit ist erledigt", sagt Maslo. Beim Werken zu Hause laufe man Gefahr, nicht abschalten zu können und immer wieder über die Arbeit zu stolpern.

Wie die meisten anderen "Arbeitskollegen" ist auch sie von der "Community" begeistert. Ob in kollektiven Kaffee- und Rauchpausen oder bei Festen, man finde hier sehr schnell Anschluss. Maslo ist seit 14 Jahren mit ihrer Firma "buntworks" selbstständig und hofft, auch einen monetären Nutzen von diesem Arrangement zu haben. "Gemeinsam Projekte initiieren oder Aufträge an Land ziehen", deklariert sie ihre Ziele. "Wenn ich zum Beispiel Texte oder Unterstützung im Design bräuchte, wüsste ich, wo ich hingehen muss", so Maslo. Schließlich befinde sich eine geballte Ladung an kreativem Know-How in diesen Räumlichkeiten.

Auslastung von 90 Prozent

Know-How, das Leitner-Sidl und Pöll natürlich nicht nur aus rein altruistischen Gründen fördern. Es geht ums Geschäft. Die beiden wälzen schon seit längerer Zeit Expansionspläne. "Wir sind zu 90 Prozent ausgelastet", meint Leitner-Sidl und ortet eine ungebrochene Nachfrage. Atypische Beschäftigungsformen würden mit Sicherheit weiter zunehmen. Gepaart mit dem Wunsch, das Individuelle mit dem Gemeinschaftlichen zu verbinden. Sollte sich ein weiteres Objekt in "hipper" Lage aufdrängen, werde man zuschlagen. Bis dato ist Leitner-Sidl für die Schrauben- und die Hutfabrik verantwortlich, Kollege Poll kümmert sich um den Rochuspark. Bei einem vierten Gemeinschaftsbüro würde der Zwei-Mann-Betrieb allerdings endgültig an seine Grenzen stoßen. "Wir müssten wohl Personal aufnehmen", sagt Leitner-Sidl. Und durchkalkulieren, ob sich das dann überhaupt noch amortisiert.

Städtepartnerschaften

Damit den umtriebigen Geschäftsleuten in der Zwischenzeit nicht fad wird, loten sie gerade potenzielle Kooperationen mit Gemeinschaftsbüros in anderen Städten aus. Mit Berlin sei es bereits auf Schiene, berichtet Leitner-Sidl. Das simple Konzept: Wenn ein Mieter aus Wien geschäftlich in Berlin ist, dann bekommt er hier einen Arbeitsplatz. Und vice versa. Eine Einführung in die Community ist inkludiert, falls gewünscht. So wolle man den Leuten  "Zugang zur internationalen Szene" ermöglichen. Neben Berlin hat "Konnex" auch Partnerschaften mit Büros in London oder Amsterdam im Visier.

"Wir haben die ganze Bandbreite hier", sagt Leitner-Sidl und meint damit den geschäftlichen Erfolg der Mieter. "Einige verdienen knapp über dem Minimum, viele sind gut im Geschäft und manche machen ordentlich Kohle." Die berufliche Etablierung bedeute nicht automatisch den Auszug aus der billigen Büro-WG. Dieser finde zumeist nur statt, wenn eine Ich-AG personellen Zuwachs bekommt. "Hat man drei oder vier Mitarbeiter, dann rentiert es sich nicht mehr." Gezahlt wird ja pro Arbeitsplatz.

"Lebens- und Arbeitsgefühl"

"Wer hier auszieht, der hat es geschafft", sei nur ein "Running-Gag" unter den Mietern. In Gemeinschaftsbüros gehe es ja nicht nur darum, mit seiner Firma zu reüssieren, sondern auch um ein bestimmtes "Lebens- und Arbeitsgefühl", konstatiert Leitner-Sidl. Und das werde in der Schraubenfabrik seit vielen Jahren erfolgreich vorexerziert. "Entweder man mag es oder man mag es nicht." (Oliver Mark, derStandard.at, 15.1.2009)