"Die Berichterstattung folgt während Krisenzeiten - während eines Krieges oder großer Militäroperationen - einem bestimmten Muster: Die Medien rechtfertigen dann das Vorgehen der Regierung."

Quelle: Privat

Israelische Medien tendieren dazu, das militärische Vorgehen des Staates zu rechtfertigen," sagt Yizhar Be'er, der Direktor des "Zentrums zum Schutz der Demokratie in Israel" - kurz Keshev - im Interview mit derStandard.at. Dennoch gebe es diesmal eine regere öffentliche Diskussion über die Ziele der Offensive und die Möglichkeiten einer politischen Lösung. Das sei während des Libanon-Krieges nicht der Fall gewesen.

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derStandard.at: Welchen Einfluss haben die israelischen Medien auf die öffentliche Meinung?

Be'er: Zuerst möchte ich einige generelle Informationen über Medien in Israel und den Medienkonsum in Israel geben und was in Krisenzeiten passiert. Der Medienkonsum in Israel ist sehr hoch. Die drei wichtigsten Tageszeitungen verkaufen pro Tag mehr als eine Million Ausgaben und das bei sechs Millionen Einwohnern. In Krisenzeiten oder während eines Krieges steigt der Medienkonsum weiter an. Israelis werden von dem was sie in den Medien lesen beeinflusst und umgekehrt beeinflusst die öffentliche Meinung natürlich wiederum die Medien. Die Berichterstattung folgt während Krisenzeiten - während eines Krieges oder großer Militäroperationen - einem bestimmten Muster: Die Medien rechtfertigen dann das Vorgehen der Regierung. Das war im Libanon-Krieg der Fall und das passiert auch dieses Mal.

derStandard.at: Hat sich seither etwas verändert?

Be'er: Was sich verändert hat, ist die Einstellung gegenüber politischen Lösungen. Während des Libanon-Krieges rechtfertigten die Medien nicht nur den Beginn des Krieges, sondern drängten auch auf dessen Fortsetzung. Heute verteidigen die Medien zwar auch den Angriff auf den Gazastreifen, aber es gibt Platz für eine Diskussion über einen Waffenstillstand und eine politische Lösung des Konflikts.

derStandard.at: Warum hat sich das verändert?

Be'er: Der Krieg im Libanon löste eine Welle der Selbstkritik aus. Allerdings erst, nachdem der Krieg beendet war. Danach gab es eine Diskussion in der Politik, der Öffentlichkeit und auch den Medien warum die Militäraktion so stark befürwortet wurde. Die allgemeine Meinung war, dass die Medien und die kritische Öffentlichkeit während des Libanon-Krieges versagt haben. Es wurden nicht die richtigen Fragen gestellt. Die Lehre daraus war, dass wir diesmal aufpassen müssen. Dieses Mal stellen die Medien die Frage nach Ziel und Ende der Offensive.

derStandard.at: Warum tun sich israelische Medien so schwer mit selbstkritischer Berichterstattung?

Be'er: Israel ist diesbezüglich nicht allein, wenn es um Nationalismus und Patriotismus während einer militärischen Aktion geht. Das Gleiche passierte auch in den USA während des Krieges im Irak und auch in Großbritannien während des Konflikts um die Falklandinseln. In einem anderen Punkt ist Israel einzigartig - und zwar dann wenn es um Bedrohung geht. Hier gibt es zwei Ebenen: Die erste ist, wie groß die wahrgenommene Bedrohung tatsächlich ist. Israel ist der einzige Staat, dem andere Staaten das Existenzrecht absprechen. Diesbezüglich ist Israel ein Einzelfall. Die zweite Ebene ist die psychologische und soziologische: Die Israelis sind voller Ängste. Es gibt ein Narrativ darüber Opfer zu sein. Die Erinnerungen an die Vergangenheit sitzen tief. In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es sehr reale Bedrohungen. Die Medien sind Teil der Öffentlichkeit und werden auch von ihr beeinflusst.

Medien sind aber auch wirtschaftlich motiviert - sie müssen ihre Produkte auch verkaufen. Wenn Medien gegen den Konsens des Mainstreams in der öffentlichen Meinung anschreiben, verlieren sie vielleicht ihr Publikum.

derStandard.at: Hat das Militär Einfluss auf die Berichterstattung?

Be'er: Israel ist ein sehr kleines Land und viele der Journalisten, die über das Militär berichten sind Teil des militärischen Systems. Viele sind beispielsweise Reserveoffiziere. Was noch erschwerend hinzukommt ist, dass das Militär oft die einzige Informationsquelle ist.

derStandard.at: Warum hat Israel ihrer Meinung nach die Grenzen für Reporter geschlossen?

Be'er: Ich denke Israel hat hier von den Erfahrungen der Amerikaner im Irak gelernt. Die USA haben die Medien stark kontrolliert. Auch die Erfahrungen aus dem Libanon-Krieg haben diese Entscheidung beeinflusst. Damals haben viele unabhängige Journalisten aus dem Kriegsgebiet berichtet.

derStandard.at: Welche Auswirkungen wird die Offensive im Gazastreifen auf die Wahlen im Februar haben?

Be'er: In Krisenzeiten wird die öffentliche Meinung eher nationalistisch - das bedeutet einen Schwenk nach rechts. Auch in der Vergangenheit bedeuteten Militäraktionen oder Kriege eine Stärkung der rechten Parteien in Israel. Ich denke, dass es auch diesmal so sein wird. Die rechten Parteien werden bei den Wahlen sicher dazugewinnen.

derStandard.at: Derzeit gibt es einen innenpolitischen Konflikt zwischen Premier Olmert auf der einen Seite und Außenministerin Livni und Verteidigungsminister Barak auf der anderen Seite. Olmert positioniert sich eher kompromisslos, was ein schnelles Ende der Offensive betrifft. Livni und Barak wollen einen temporären Waffenstillstand zumindest nicht von vornherein ausschließen. Ist Olmert deswegen ein Hardliner, weil er sich nicht mehr um eine Wiederwahl kümmern muss?

Be'er: Jede Seite hat ihre politische Agenda. Barak und Livni wollen vom Ausgang der Offensive politisch profitieren. Olmert will sich seinen Platz in der Geschichte sichern. Er will den Premierminister-Posten als jemand verlassen, der eine positive Veränderung für Israel herbeigeführt hat.

derStandard.at: Israels Wahlkomitee will arabische Parteien von der Wahl im Februar ausschließen. Ist das nicht ein Schritt gegen die Demokratie?

Be'er: Definitiv. Im Konfliktfall bezahlen oft die arabischen Israelis den Preis. Die jüdische Öffentlichkeit beginnt an der Loyalität der arabischen Minderheit zum Staat Israel zu zweifeln. Die Medien tragen auch zu dieser Entwicklung bei. Das ist teilweise gut sichtbar in Titeln und Untertiteln einiger Artikel. Arabische Proteste gegen die Offensive werden als Protest gegen den Staat interpretiert. Die arabischen Israelis würden die Hamas unterstützen und mit ihr zusammenarbeiten. Diese Berichterstattung kann dann auch zu den entsprechenden politischen Entscheidungen führen.

derStandard.at: Wie werden Palästinenser in der Berichterstattung porträtiert und gibt es einen Unterschied in der Darstellung von Hamas und Fatah?

Be'er: Es kommt immer auf den Zeitpunkt an. Derzeit ist die Hamas der Teufel. Während des Libanon-Krieges war die Hisbollah der Teufel. Die israelischen Medien berichten derzeit nicht viel über die Fatah, aber die generelle Darstellung ist die Fatah sind die "Guten Jungs" und die Hamas die "Bösen". (mka, derStandard.at, 15.11.2009)