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Das Wedgwood-Museum hat erst Ende Oktober 2008 eröff- net. Anfang Jänner ging Waterford Wedgwood pleite

Foto: APA/EPA/Nick Wilkinson

Seit Jahrhunderten ist Stoke das Zentrum der britischen Keramik-Industrie, Wedgwood-Porzellan machte die Stadt berühmt. Nach der Pleite der traditionsreichen Firma ist die Zukunft der Region ungewiss.

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Stoke - Über die Geschichte reden sie gern in Stoke-on-Trent, liebevoll, detailreich und stundenlang. Kurator Andrew Watts vom örtlichen Museum zum Beispiel ist ein waschechter "Stokie", ein Ureinwohner jener sechs Gemeinden, die vor einem Jahrhundert zum Kunstgebilde Stoke zusammengefügt wurden. Er ist stolz auf seine Heimatstadt mit ihren 250.000 Einwohnern, er kennt ihre Geschichte in- und auswendig.

Diese Geschichte handelt von findigen Unternehmern und fleißigen Arbeitern, von den Vorreitern der industriellen Revolution Mitte des 18. Jahrhunderts, von großen Tonvorkommen und reichlich Kohle mit geringem Schwefelgehalt, von handfesten Tonkrügen und feinstem Porzellan.

Unternehmen wie Wedgwood, Royal Doulton, Spode und seit 1997 Rosenthal haben Stoke weltweit berühmt gemacht. Die Stadt liegt in der Grafschaft Staffordshire, aber jedermann nennt die mittelenglische Gegend nach der Keramikindustrie "The Potteries", Stoke ist ihre Hauptstadt. Eine Stadt mit großer Geschichte, zweifellos. Und die Gegenwart? Da schüttelt Watts traurig den Kopf und sagt: "Natürlich wirkt sich die Sache mit Wedgwood darauf aus, wie sich die Leute hier fühlen." Schlecht fühlen sie sich, kein Wunder.

Anfang Jänner musste der irische Mutterkonzern Waterford Wedgwood Insolvenz anmelden, viele der verbliebenen 1500 Mitarbeiter in Stoke haben ihre Kündigung bereits erhalten. Das 1759 von Josiah Wedgwood gegründete Unternehmen war das Kronjuwel in der reichen Firmengeschichte von Stoke, wo zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch 60.000 Menschen in der Keramikindustrie arbeiteten.

Seither ging es schleichend bergab, verschwanden die charakteristischen Flaschen-Öfen aus dem Stadtbild, machten immer mehr Fabriken ihre Tore dicht. Auch Wedgwood hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen, davon zeugten der Verkauf an die Iren, die jahrelangen Verluste in Millionenhöhe, der radikale Arbeitsplatz-Abbau.

Die Rezession hat jetzt das Aus gebracht. Ausgerechnet jetzt. Nicht einmal drei Monate ist es her, dass Gaye Blake-Roberts ihr Wedgwood-Museum am Rande von Stoke eröffnet hat. Das zehn Millionen Pfund teure Haus ist so fein geraten wie der Ruf der Firma, ausgestattet mit wunderbaren Tellern und Vasen aus 250 Jahren Firmengeschichte ebenso wie mit interaktiv-postmodernen Displays.

Nun droht das Unternehmen selbst zum Museum zu werden. Tapfer beteuert Blake-Roberts, die traurigen Vorgänge vor ihrer Haustür hätten mit dem Museum gar nichts zu tun, "schließlich sind wir eine unabhängige Stiftung". Dann erläutert sie den Design-Wettbewerb, den das Museum unter örtlichen Uni-Absolventen ausgerufen hat. Das diesjährige Thema für Beiträge ist die weltberühmte Porzellanfarbe "Wedgwood Blue" - aber "blue" heißt auch traurig, trübsinnig. "Das Motto ist sehr angemessen", sagt Blake-Roberts und lächelt tapfer. Es gibt viele Menschen in Stoke, denen jedes Lächeln, selbst ein tapferes, vergangen ist. Jetzt ist die Verunsicherung groß in der Stadt.

Zur städtischen Jobbörse kamen dieser Tage mehr als 3000 Menschen, darunter viele der verbliebenen rund 5000 Arbeiter aus der Keramikindustrie. "Da gab es viele Tränen", erzählt Diane Wardle von der städtischen Behörde "Jobs Enterprise Training", kurz JET genannt. Wardle musste eine 55-Jährige trösten, die in 30 Jahren Betriebszugehörigkeit beim Steingut-Hersteller Spode keinen einzigen Tag krank gewesen war. Kurz vor Weihnachten machte das Unternehmen Pleite, 200 Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz.

Auch die Wedgwood-Angestellten haben ihre Kündigung bereits erhalten. Zwar verhandelt der Konkursverwalter Deloitte intensiv mit dem New Yorker Private-Equity-Haus KPS über einen Verkauf des Mutterkonzerns Waterford Wedgwood. Doch in Stoke dürften nur wenige der verbliebenen 1200 Arbeitsplätze gerettet werden. Darüber machen sich die wenigsten Illusionen.

Ganz bestimmt nicht Alan Cosens. Er war früher bei Wedgwood und fiel einer früheren Entlassungswelle zum Opfer. Mittlerweile arbeitet er seit 16 Jahren für Emma Bridgewater, einen 1985 gegründeten Familienbetrieb, in dem mittlerweile 160 Angestellte weitgehend von Hand das Steingut mit dem lustigen Punkt-Design herstellen. "Bei Wedgwood wurde dauernd automatisiert", erinnert sich Cosens. "Die Qualität fiel, aber die Preise blieben gleich. Das konnte nicht gut gehen."

Opfer der Globalisierung

Cosens- Chef Mark Thomas sieht den Konkurrenten Wedgwood als Opfer der Globalisierung. "Bei Emma Bridgewater setzen wir hingegen auf Patriotismus", erläutert der Fabrikleiter von Emma Bridgewater. "Die Leute hier brauchen Jobs. Wir glauben an unser Land, wir verkaufen auch den Großteil unserer Ware hier im Land." Dazu gehören nicht zuletzt patriotische Tassen mit dem Union Jack, der britischen Nationalflagge. "In der Rezession kaufen die Leute bewusster als bisher Sachen aus dem eigenen Land, das war in den letzten Wirtschaftskrisen auch schon so."

Bei allem Erfolg der eigenen Firma spürt Thomas doch die Strukturkrise seiner Branche. "Schauen Sie sich doch mal um", sagt der Fabrikleiter, 44, "uns geht der Nachwuchs aus." Sein derzeit jüngster Mitarbeiter ist 23 Jahre alt, Lehrlinge mögen nicht anheuern: "Die finden das hier schmutzig", sagt Thomas und schüttelt den Kopf. (Sebastian Borger, Stoke, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.1.1.2009)