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Natalie Dessay und Stéphane Degout.

 

 

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wien - Maurice Maeterlinck, dessen "mystisches Spiel Pelléas et Mélisande Debussy als Textgrundlage für seine Oper diente, schrieb einmal, "die Tatsachen sind nur die Vagabunden, Spione oder Nachzügler der großen Gewalten, die man nicht sieht". Darin liegt der Vorzug dieser Neuproduktion: dass sie in ihrer zeremoniellen Feierlichkeit - auch gemäß den Intentionen des Komponisten - mehr verschleiert, als sie zu zeigen und oder gar zu deuten geneigt ist.

Die handelnden Personen handeln eigentlich nicht; in ihnen verdichten sich Träume, Ängste und Sehnsüchte zu schemenhafter Körperlichkeit. Laurent Pelly macht das in seiner überwiegend stillen Inszenierung beklemmend fühlbar. Mélisandes Leiden und Wünsche werden mit ebenso unpersönlicher Zurückhaltung formuliert wie die Liebe des Pélleas oder Golauds Eifersucht. Sie sind rätselhafte Symbole für Größeres, das sich nur in den wenigen Augenblicken höchster Erregung Bahn bricht.

Schön, dass sich ein Regisseur respektvoll mit Maeterlincks Sicht der Dinge identifiziert und allzu privater Deutungen enthält. Chantal Thomas staffiert die Bühne mit einem Wald aus kahlen Baumstämmen, in dem Golaud und Mélisande erstmals aufeinandertreffen. Für die Szenen in König Arkels Palast hat sie ein verschachteltes Ambiente von surrealer Bedrücktheit geschaffen, dessen zeitlose Indifferenz die Intentionen von Pelly genau trifft. Wenn Mélisande vor ihrem Tod ersucht, die Fenster zu öffnen, und es passiert nichts, könnte man das als Regie-Ignoranz auffassen. Nicht so bei Maeterlinck. Die Wörter sind das eine, die wahren Vorgänge etwas anderes. Mélisandes Tod ist in seiner Wort- und Reglosigkeit selten in solcher Dichte beinah greifbar geworden.

Auch wenn Maeterlinck nicht unbedingt beim Wort zu nehmen ist, so ist Debussy selbstverständlich sehr genau bei den Noten zu nehmen. Und dies ist dem RSO-Wien ja bestens geglückt - Bertrand de Billy fühlt sich im Dickicht der aufkeimenden und gleich auch wieder versickernden Themen wie zu Hause. Die feinen Abstimmungen, mit denen er die Klangfarben mixt und in ihrer Dynamik differenziert, waren bewundernswert. So wie seine Fähigkeit, trotz Debussys zugunsten der Sprachmelodik selbst auferlegter melodischer Enthaltsamkeit, ein magisch verzauberndes Tongeflecht zu schaffen, das den szenischen Vorgängen und deren Akteuren den Weg in die Vorstellungswelt der Besucher bahnte.

Wobei zu sagen ist, dass Natalie Dessay zwar eine musikalisch perfekte, aber keine ideale Mélisande war. Wohl kann sie nichts dafür. Eine ideale Zerbinetta kann nicht als Mélisande allen Ansprüchen gerecht werden. Vor allem in den ersten Szenen hat sie eigentlich zu viel gemacht, die Aura des maskenhaft Rituellen durch ihre Lebendigkeit irritiert. Wollte man jene Gestalt nennen, die dem Geist dieser Produktion am besten entsprach, so wäre es König Arkel, wie ihn Philipp Ens in seiner asketischen Darstellung gezeichnet und mit tragendem Bass eindrucksvoll eingedunkelt hat.

Es war von großem Vorteil, dass die Hauptpartien in dieser in Originalsprache gesungenen Aufführung mit sogenannten Muttersprachlern besetzt waren, die den Duktus der sprachgenerierten Musik umsetzen konnten. Stéphane Degout als Pelléas und Laurent Naouri als Golaud waren hierfür überzeugende Beispiele. Und Marie-Nicole Lemieux als Geneviève, Beate Ritter als Yniold und Tim Mirfin als Arzt machten die mit reichem Beifall bedachte Märchenmannschaft komplett. (Peter Vujica / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.1.2009)