Nelsons ist an der Wiener Staatsoper ein gerngesehener Gast und international auf dem Weg zu einer Spitzenkarriere.
Wien - Staatsoperndirektor Ioan Holender will das Interview keinesfalls stören - ein Satz aber muss schon sein: "Der wird ganz groß!", so der Direktor, und Andris Nelsons bedankt sich artig, während der Direktor sich auch schon wieder verabschiedet. "Es war für mich wichtig, als mich Holender in Riga hörte und dann an die Staatsoper engagierte." Und - was viel wichtiger war - wieder holte, etwa um einmal den erkrankten Seiji Ozawa zu ersetzen.
Auch ohne die direktorialen "Rosen aus Wien" könnte der junge Lette (Jahrgang 1978) allerdings auf genügend Zeichen verweisen, die andeuten, dass er hinsichtlich seiner Karriere auf einem sehr guten Weg ist. Unlängst hat er seinen Job als Chef des City of Birmingham Symphony Orchestra angetreten - er landete also dort, wo Simon Rattle viele Jahre verbrachte, bevor er Chef der Berliner Philharmoniker wurde.
Von diesem Fixpunkt aus kann Nelsons jedoch weiterhin große Opernhäuser beehren wie auch wichtige Orchester. Auch Bayreuth steht schon im Kalender: "Angerufen hatte noch die mittlerweile leider verstorbene Gudrun Wagner. Ich fuhr dann hin, aber wie! Der Chauffeur von Wolfgang Wagner holte mich vom Flughafen Nürnberg ab, das waren 240 Kilometer bis Bayreuth. Ich war angenehm schockiert. Jedenfalls: Ich werde da 2010 Lohengrin dirigieren."
Nelsons ist ziemlich jung. Musikalität indes ist zum einen keine Sache der Erfahrung, und zum anderen hat Nelsons schon einiges hinter sich. Ein paar Jahre war er Trompeter im Orchester der lettischen Nationaloper, 2003 wurde er ihr Chefdirigent. Als solcher stemmte er Wagners Ring, und fertig war die Schlagzeile vom Jungspund, der es draufhatte.
Mittlerweile darf man ihn also zu jener Gruppe von Jungdirigenten zählen, in der Philippe Jordan (Musikchef der Opéra National de Paris), Daniel Harding, Wladimir Jurowski (London Philharmonic Orchestra) und Yannick Nezet-Seguin (Rotterdamer Philharmoniker, tolles Salzburg-Debüt) zu finden sind. An manchen Erfahrungen dieser Kollegen kann Nelsons sicher aber auch ablesen, wo Gefahren lauern.
"Man muss eben warten können. Mit einem bedeutenden Orchester würde ich nie Mahlers 7., 9. oder 10. Symphonie machen. Vor diesen Werken habe ich regelrecht Angst. Ich will zwar immer etwas sagen, aber man sollte es nur dann wirklich tun, wenn man ein starkes Gefühl für ein Werk hat. Ein gutes Orchester merkt sofort, ob man kopiert oder eine eigene Idee hat."
Denn es sei nun einmal so: "Es gibt Dinge, die man nicht notieren kann. Selbst Mahler, der als Dirigent praktisch sehr erfahren war, konnte das nicht. So wird man bei den Dingen, die quasi zwischen den Noten stehen, auf sich selbst zurückgeworfen."
Nebst Ideen bedarf es jenes Elements, das man bei Nelsons hervorheben muss - der Energie nämlich: "Es geht eben darum, bei den Musikern Spannung herzustellen, alles sollte klingen, als ob es gerade erst komponiert worden wäre. Diese Atmosphäre versuche ich zu erzeugen. Ich bin eher schüchtern, aber nicht beim Dirigieren. Seltsam, aber für die Musik kann ich alles tun. Von der Papierform her könnte jeder Musiktheoretiker dirigieren. Etwas nur zu wissen, garantiert jedoch leider gar nichts beim Akt des Musizierens."
Analyse durch CDs
Auch Orchestermusiker gewesen zu sein - so wie er - sei "keine Garantie für die Qualität als Orchesterleiter. Obwohl: Man kann Dirigenten gut analysieren. Ich tue das übrigens auch gerne anhand von Aufnahmen. Ich finde nicht, dass man durch sie verdorben wird."
Davon waren wohl auch die in Birmingham überzeugt, als sie Nelsons den Chefposten anboten: "Man lud mich für Konzert und CD-Aufnahme ein, es war eine intensive Woche. Orchester und Management müssen dann in dieser Woche in einer Pause ein Meeting gehabt haben, in dem sie beschlossen, mir das anzubieten. Schwer zu sagen, was man von mir erwartet. Was ich anbieten kann, ist harte, intensive Arbeit. Das Orchester will sich entwickeln und auf Tournee gehen, reisen. Das will ich auch. Obwohl ich Fliegen hasse!"
(Ljubiša Tošić / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.1.2009)