Am Sonntag wählt Hessen. Anders als vor einem Jahr geht die CDU mit Ministerpräsident Roland Koch (CDU) dem Wahlsieg entgegen. Der SPD hingegen droht nach dem monatelangen Gezerre um die Linken ein Desaster.
Die Krawatte ist es nicht. Auch der Haarschnitt hat sich nicht geändert. Und dennoch: Irgendwas ist anders an Roland Koch, als er an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel und unter Fanfarenklängen in die Documenta-Halle in Kassel einmarschiert. "Schau, er winkt uns", raunt eine Frau in der Menge ihrem Mann zu. Das ist es. Koch winkt nicht nur, er lächelt auch gütig. Und als er wenige Sekunden später auf der Bühne zu seiner Rede ansetzt, steht da nicht jener Ministerpräsident, der im Wahlkampf 2008 noch als "Polit-Rambo" beschimpft wurde; der mit seinen Anti-Ausländer-Tönen gezielt polarisierte; der verbal auf SPD, Grüne und Linke eindrosch.
Der Roland Koch des Jahres 2009 ist ein ganz anderer, ein Chamäleon: Er gibt den besonnenen Staatsmann, dem die Hessen in harten Zeiten vertrauen können. "Kompetenz in der Krise, in Zeiten wie diesen – Koch kann's", steht auf den Transparenten, die seine Wahlkämpfer begeistert schwenken. Auf blauem und orangem Grund ist damit quasi in aller Kürze das Wahlprogramm der Hessen-CDU niedergeschrieben. "Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz, und dafür brauchen wir stabile, politische Verhältnisse. Nur dann können die Menschen Hoffnung schöpfen", ruft Koch da auch schon der Menge zu. Nicht nur Autobahnen sollen ausgebaut werden, auch die Flughäfen in Frankfurt und Kassel. Und es ist ja wohl klar, wer dafür sorgen wird: seine CDU, gemeinsam mit der FDP – ein schwarz-gelbes Bündnis also, das Hessen nach einem turbulenten Jahr wieder "ruhig und geräuschlos regiert".
Mehrheit für Schwarz-Gelb
Kurz vor der Wahl am Sonntag sieht es ganz danach aus, als würde sich Kochs Wunsch erfüllen. Auf 36,8 Prozent war die Hessen-CDU vor einem Jahr bei der Wahl gerasselt. Der Verlust von zwölf Punkten schwächte Koch enorm, er konnte sich gerade noch als geschäftsführender Ministerpräsident (allerdings ohne parlamentarische Mehrheit) im Amt halten. Doch nun sagt ihm eine Forsa-Umfrage für den Sonntag 41 Prozent voraus. Die FDP kommt noch vor den Grünen (13 Prozent) auf 15 Prozent, somit wäre jene bürgerliche Mehrheit, die Koch auch als Vorläufer für den Bund anstrebt, bequem möglich.
Düster hingegen sieht es für die Sozialdemokraten aus, wenngleich der neue Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel landauf, landab gute Laune zu verbreiten sucht. Die SPD droht von 36,7 auf 24 Prozent abzusacken. Doch mit derlei trüben Aussichten will sich Schäfer-Gümbel gar nicht erst abgeben. "Die Hühner werden am Ende gewogen", versichert er. Vor zwei Monaten noch war er ein politischer Nobody in Hessen, doch mittlerweile hat er es zu einigem Bekanntheitsgrad gebracht.
"Yo, isch kan"
Geduldig erklärt er auf unzähligen Marktplätzen in klirrender Kälte, warum es doch besser sei, SPD statt CDU zu wählen: "Koch steht für eine gescheiterte Bildungspolitik, soziale Kälte und Marktradikalismus." Doch der 39-jährige Schäfer-Gümbel hat ein bleischweres Päckchen zu tragen, und das heißt Andrea Ypsilanti. Immer noch ist sie SPD-Landes- und Fraktionschefin. Und ihr Name ist es, den die Bürgerinnen und Bürger mit dem "Wortbruch" vom vergangenen Wahlkampf verbinden. Da hatte Ypsilanti zunächst erklärt, niemals mit den Linken paktieren zu wollen, versuchte es später zweimal und scheiterte schließlich am Widerstand in den eigenen Reihen.
Frohnatur Schäfer-Gümbel wird sie nach der Wahl wahrscheinlich beerben. Im Wahlkampf lässt er auch wissen, dass er selbst Hemden bügelt, und verbreitet im breitesten Hessisch Zuversicht wie Barack Obama: "Yo, isch kan." Ein Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei schließt er diesmal nicht von vornherein aus. In die Verlegenheit, sich darüber ernsthaft Gedanken machen zu müssen, kommt "TSG" aber ohnehin kaum. Denn Umfragen sehen die Linkspartei diesmal gar nicht sicher im Landtag. Sie könnte am Sonntag an der Fünfprozenthürde scheitern.
Spitzenkandidat Willi van Ooyen bereicherte den Wahlkampf mit dem Vorschlag, leerstehende Büros in den Frankfurter Bankentürmen für Obdachlose zur Verfügung zu stellen und Reichen einen Spitzensteuersatz von 80 Prozent aufzubrummen. Hilflos musste er ansehen, wie die eigene Partei ihm die kurze Wahlkampagne vermieste: Wegen "fehlender Basisdemokratie" und "persönlicher Anfeindungen" häufen sich bei der Linkspartei die Austritte, in der Nähe von Kassel hat sich bereits ein ganzer Ortsverein aufgelöst. (Birgit Baumann aus Kassel/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2009)