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Zwei Präsidenten, viele Verwandte und noch mehr Geld: Die Geschichte der Bush-Dynastie begann mit dem Rüstungs-industriellen und Bankier George Herbert Walker, der im Ersten Weltkrieg und danach beste Geschäfte machte. Sein Netzwerk, zu dem auch Schwiegersohn Prescott Bush senior gehörte, war ein Beispiel für den militärisch-industriellen Komplex, vor dem Eisenhower warnte.
Foto: Reuters

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Es waren Höhepunkte auf dem Parteitag der Demokraten im vergangenen Sommer in Denver. Spätestens als Caroline Kennedy und ihr Onkel Ted der Menge Obama ans Herz legten, machte das Wort vom "schwarzen Kennedy" die Runde. Das Bild vom jungen, unverbrauchten Politiker, der den Wandel herbeiführen würde, weckte Assoziationen mit JFK, wenn auch der Selfmademan aus Hawaii sehr weit entfernt ist von dem, was die Kennedys in ihrem machtpolitischen Kern ausmacht.

Ein wenig von dem Glanz einer Dynastie, der die Bostoner Familie umgibt, sollte auf ihn abstrahlen, im Schnellverfahren sollte er zum Ritter der Camelot-Tafelrunde geschlagen werden. Die Parteitagsstrategen werden das Für und Wider dieses Glanzes wohl abgewogen haben, und die Medien hatten ihnen das Wort schon aus dem Mund genommen: Mit "Dynastie" kann man emotional punkten.

Doch nicht uneingeschränkt. Auch die Bushes sind eine über Generationen herangewachsene einflussreiche Familie, gehören länger zur finanziellen Elite als die Kennedys, und beiden ist bekanntlich nicht nur Zustimmung gewiss.

Das musste gerade jetzt JFKs Tochter wieder spüren. Ihrer Ernennung zur Senatorin des Staates New York steht viel Misstrauen entgegen, weil sie angeblich außer höchsten Verbindungen nicht viele Qualifikationen vorzuweisen hat. (Misstrauen hat auch die bisherige, durchaus qualifizierte Senatorin Hillary Clinton begleitet. Ihre Familie ist noch lange keine Dynastie, immerhin aber hat ihr ein sehr gut etabliertes Netzwerk bei der Wahl geholfen.)

"Dynastie" klingt seltsam fehl am Platz in einem Land, das sich Chancengleichheit und "Vom Tellerwäscher zum Präsidenten" auf die Fahnen geschrieben hat. Eine Geschlechterabfolge von Herrschern und ihren Familien scheint mit demokratischen Spielregeln unvereinbar.

Die 400 wichtigsten Familien

Aber es gibt sie, es gab sie immer schon, wenn auch nicht nach festgeschriebenen monarchischen Regeln. Dynastische Familien à la Bush oder Kennedy sind nur die letzte Konsequenz eines viel offensichtlicheren Phänomens: der wirtschaftlichen Eliten.
Mit der Elitenbildung in den Vereinigten Staaten haben sich Legionen von Sozialwissenschaftern herumgeschlagen. Einerseits gibt es zweifellos eine Schicht, die nach allen Kriterien Einfluss hat, sie lässt sich nachweisen, über Generationen verfolgen, und man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um diesen Einfluss in bestimmten Familien, exklusiven sozialen Verbänden, militärisch-industriellen Verbindungen usw. zu beobachten.

Der Soziologe C. Wright Mills hat in seinem Klassiker The Power Elite (1956) die US-Nachkriegszustände analysiert. Einer vorgeblich egalitären Massengesellschaft stehe ein elitärer Verbund wirtschaftlicher, militärischer und politischer Führer entgegen. Die "Theorie des Gleichgewichts" , nach der sich in den USA unterschiedliche Interessen die Balance halten, sei Ideologie und durch die tatsächlichen Machtverhältnisse längst ausgehebelt worden.

Kapitelweise spürt Mills dem Mikrokosmos der richtigen Schulen, der wichtigen Klubs, der entscheidenden Vorstandssitze nach: The Celebrities, The Very Rich, The Chief Executives, The Warlords, The Political Directorates. Auch die Metropolitan 400 kommen vor, jene Familien, welche laut Mrs. Astor, die natürlich selbst einer angehörte, in New York (und damit in halb Amerika) den Ton angaben.

Nur am Rande geht Mills auf das Thema Klassenbewusstsein ein und begründet das damit, dass sich ein solches in den Staaten bloß rudimentär und konfus entwickelt habe und außerdem großteils auf Statuselemente und Werte beziehe. Mit dem marxistischen Begriff von Klasse kann er wenig anfangen. Class ist für ihn, wie im Amerikanischen insgesamt, eine soziale Schicht.
Aber auch über Class, das weiß Paul Fussell, Autor eines gleichnamigen Buches, reden die Leute nicht gerne. Als er Leuten erzählte, dass er an dem Thema arbeite, wichen sie vor ihm zurück, als würde ihn das Töten unschuldiger Wale interessieren.

Es wird ein empfindlicher Nerv getroffen, will man die Interessenlage und die sozialen Chancen der Amerikaner näher untersuchen. Die Spannung zwischen dem Anspruch, dass sie alle doch irgendwie Middle Class sind und ihres eigenen Glückes Schmied, und der Wirklichkeit, dass einige Wenige ihr Gold schmieden lassen, ist spürbar. Dazu kommt, dass diese wenigen ebenfalls gespalten sind: Sollen sie sich in zumindest gespielter Bescheidenheit üben, ihren Reichtum und Einfluss also unterspielen, oder stolz ihren Erfolg herzeigen?

Thorstein Veblens Theorie der feinen Leute (1899) beschrieb den Hang derjenigen Amerikaner, die ihren Status ostentativ auslebten. Doch mit der Leisure Class karikierte er vor allem die Neureichen, die Räuberbarone des späten 19. Jahrhunderts, eine Stillosigkeit, die sich als neuer Stil neben dem alten Geld etablierte.

Bis heute, bis in die Eskapaden von Leuten, die schnell zu sehr viel Geld gekommen sind, lebt der ostentative Konsum fort. Dieser Entwicklung steht die starke puritanische Tradition Amerikas entgegen, und diese verkompliziert das Bild, nach dem sich auch und gerade Eliten gerichtet haben: Es ist gut und gottgefällig, Erfolg zu haben, und man möge ihn herzeigen - aber, sozusagen "um Gottes Willen" , nicht zu ostentativ.

Diskret im Hintergrund

Damit wären wir bei den Anfängen der amerikanischen Eliten. Es gab sie schon, als die Siedler noch froh waren, den europäischen Dynastien entkommen zu sein, die ihnen Religion, Beruf und Stand vorgeschrieben hatten. Vor der amerikanischen Revolution kristallisierte sich bereits eine herrschende Schicht heraus, die ausgebildet und bereit war, die politische Führung zu übernehmen, und das waren eben weiße Männer mit Land, will heißen Geld: etwa die Aristokratie der Baumwollpflanzer, die First Families of Virginia.

Da sie nicht so zahlreich waren, rekrutierten sie sich in hohem Maß aus mehr oder weniger verwandten Kreisen - manchmal sehr verwandt: Der sechste Präsident der USA, John Quincy Adams, war ein Sohn des zweiten Präsidenten John Adams.
Dennoch, sagt Adams-Biograf David McCullough, könne man nicht von einer Dynastie sprechen: "Von den Familienmitgliedern wurde erwartet, dass sie dem Land dienten, und sie taten es auch, wenn sie damit finanziell weniger gut fuhren."

Mit Präsident Andrew Jackson kam dann jemand aus den "niedrigeren Ständen" an die Regierung. Sukzessive wurde die politische Macht denen zugänglich, die nicht zu den inneren Kreisen gehörten - Obama ist nur der vorläufige Schlusspunkt dieser Entwicklung. Parallel dazu entstand eine wirtschaftliche Elite. In ihr kam es zu tektonischen Verschiebungen - es geben nicht mehr nur weiße angelsächsische Männer den Ton an.

Und es bildeten sich Quasidynastien. Sie häuften Reichtum an und manche auch politische Macht, wie die Rockefellers oder die Bushes. Manche stellten eine Art Ersatzaristokratie dar wie die Roosevelts, die zwar nicht superreich waren, aber dafür schon in New York wohnten, als es noch Nieuw Amsterdam hieß.

Und manche zogen es vor, sich aus dem Rampenlicht zurückzuziehen und ihr Geld diskret einzusetzen. Von den Rockefeller-Stiftungen weiß man, doch wer kennt Richard Mellon Scaife, den Förderer fast aller teuren konservativen Anliegen des letzten Vierteljahrhunderts?
Die meisten US-Dynastien, gibt Adam Bellow (übrigens Sohn des Schriftstellers Saul Bellow) zu bedenken, halten sowieso nicht länger als drei Generationen, und in Amerika kann man ja immer neu anfangen: "Stört es Sie, dass Sie kein Kennedy sind? Gründen Sie Ihre eigene Dynastie!" Von (Michael Freund, Album, DER STANDARD, Printausgabe, 17. Jänner 2009)