Berlin/Washington - Das Terrornetzwerk Al-Kaida soll Deutschland wegen seines Militäreinsatzes in Afghanistan mit Vergeltung gedroht haben. Nach Informationen der in den USA ansässigen SITE Intelligence Group wurde am Samstag ein 30-minütiges Drohvideo im Internet veröffentlicht. Ein deutsch sprechender Vermummter sagt darin, die Deutschen wären "leichtgläubig und naiv", wenn sie meinten, in Afghanistan "als drittgrößter Truppensteller ungeschoren davon zu kommen". Es sei seit 1993 sein Wunsch, "sich für Allah in die Luft zu sprengen". Derzeit wertet das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) die Aufnahmen aus.

"Die Finanzkrise fegte den deutschen Stolz weg", sagt der Mann, der in dem auf Oktober 2008 datierten Video als "Abu Talha, der Deutsche" auftritt. Ob das milliardenschwere Rettungspaket der Regierung der deutschen Wirtschaft helfen werde, liege an den Deutschen selbst. Wenn die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen werde, "könnten die Erwartungen der Regierung vielleicht eintreffen". Sollten die Deutschen jedoch auf "diesem unnötigen Krieg" beharren, werde die Rechnung nicht aufgehen.

Menschenleben und Arbeitsplätze

"Es stehen nicht nur Menschenleben auf dem Spiel, sondern auch Arbeitsplätze", sagt der Mann weiter. "Einem Exportweltmeister kann man nicht nur daheim Schaden zufügen." In der vernetzten Wirtschaft von heute sei es leicht, an einem anderen Ort zuzuschlagen und dennoch zu treffen. Während der Mann diese Drohungen ausspricht, schraubt er eine Panzerfaust zusammen. Seine Botschaft hat er mit dem Titel "Das Rettungspaket für Deutschland" versehen.

Ob das Drohvideo authentisch ist, konnte zunächst nicht abschließend geklärt werden. Die SITE Intelligence Group mit Sitz in Maryland ist auf die Beobachtung islamistischer Websites spezialisiert. Die Firma IntelCenter bewertet das Video als bisher "bedeutendste Botschaft von Al-Kaida an Deutschland", womöglich sogar an ein europäisches Land überhaupt. Der deutsche Text des Sprechers, der sehr gute Kenntnisse von Deutschlands Innenpolitik aufweist, ist mit arabischen Untertiteln unterlegt.

Mohammed-Karikaturen

In dem Drohvideo kritisiert der Mann alias "Abu Talha" zudem die deutschen Medien für die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen, die im September 2005 in Dänemark erstmals von einer Zeitung gedruckt worden waren und in der islamischen Welt eine Welle der Empörung ausgelöst hatten. Ebenso empört er sich über die Inszenierung der Mozart-Oper "Idomeneo" in Berlin, bei welcher in einer Szene der abgeschlagene Kopf des Propheten Mohammed gezeigt wurde.

Mit diesen Provokationen habe der Westen "die Muslime nicht nur wachgerüttelt, sondern hyperaktiv gemacht". Die Muslime hätten dadurch "die Bedeutsamkeit der Einheit im Kampf gegen die Kreuzfahrer unter der gesegneten Führung Osama bin Ladens", des Anführers von Al-Kaida, erkannt. Die Antwort der Muslime auf die Atombombe sei die Autobombe: "Jeder Muslim kann sie sein."

Der Sprecher, der in einer Szene mit einer Panzerfaust bewaffnet ist, in einer anderen ein Maschinengewehr bei sich hat, warnt die Deutschen, sie könnten den Krieg in Afghanistan "niemals" gewinnen. "Den Deutschen läuft die Zeit davon", sagt der Mann. "Hochmut habt ihr reichlich, und der Fall steht vor der Tür."

Keine erhöhte Anschlagsgefahr

Sicherheitsexperten sehen nach der Veröffentlichung des Videos keine erhöhte Anschlagsgefahr. Aus dem Film sei weder eine direkte Verschärfung der Sicherheitslage für Deutschland selbst noch eine unmittelbare Gefährdung für die deutschen Truppen in Afghanistan abzuleiten, hieß es am Montag in Berliner Sicherheitskreisen.

Der schwarz vermummte Sprecher mit ausländischem Akzent, der in dem 30-minütigen Video seinen Namen nennt, sei den Behörden bekannt. Es handle sich um einen Al-Kaida nahestehenden Deutsch-Marokkaner, der sich seit 2007 in Pakistan aufhalte. Allerdings werde anhand von Stimmenauswertungen noch geprüft, ob Name und Person tatsächlich identisch seien. Davon sei aber auszugehen. Es bestehe auch kein Zweifel daran, dass das Video wirklich von Al-Kaida stamme.

Das Innenministerium erklärte dagegen, der Anschlag vor der Deutschen Botschaft in Kabul und die jüngsten islamistischen Drohvideos gegen Deutschland zeigten, "dass die terroristische Bedrohung eine neue Qualität gewonnen hat". Durch solche Drohvideos würden Anschläge in Deutschland vorbereitet, teilte das Ministerium am Sonntagabend mit. Die Bundesrepublik sei "in den besonderen Fokus" der Extremistenorganisation gerückt. (APA/dpa)