Wien - Raoul Schrott sollte Recht behalten. Zwar musste das Sitzfleisch der alten Griechen noch viel besser gewesen sein, wenn sie Ilias und Odyssee in einem Durchgang vorgelesen bekamen; aber die Ilias allein sei, sitzfleischmäßig, auch ziemlich anspruchsvoll, meinte er sinngemäß, als am Freitag um 18 Uhr die Lesung der von ihm neu übersetzten 24 Schlachtengesänge begann.
Sogar die Benimmregeln hatte man für die auf zwei Abende verteilte, 15-stündige Marathonveranstaltung gelockert: In den seltenen Pausen (die erste gab es am Freitag nach drei Stunden und fünf Gesängen; zwei dann am Samstag, an dem ab 15 Uhr weitergelesen wurde) konnten sich die Besucher an einem griechischen Büffet stärken.
Getränke durften sie in den Zuschauerraum mitnehmen - und überhaupt nach Belieben raus- und reingehen: "Vorausgesetzt, Sie kommen wieder herein."
Tatsächlich, eingelassen wurde man immer, auch wenn man das Haus für Stunden verlassen hatte; sogar der Garderobier spielte mit und kassierte nur einmal. Wie in einem Bienenstock ging es trotzdem nicht zu. Das Wiener Publikum erwies sich als erstaunlich durchhaltend, wiewohl sich die Zahl der Zuschauer im Lauf der 13,5 Stunden, die es letztendlich werden sollten, doch sichtbar verringerte.
Die, die blieben, wurden belohnt - wenn auch in unterschiedlichster Qualität, mit der die Vorleser Schrotts lockere "Neuübertragung" vortrugen.
Er wollte, erklärte Schrott dem Publikum, ausloten und vertiefen, "was Homer, dem für seine Ilias im 6. Jahrhundert vor Christus nur 5000 bis 6000 Worte zur Verfügung gestanden waren, denn eigentlich meinte". Das ist ihm gelungen.
Langatmige Gesänge blieben die Ausnahme. Es überwog Berührendes, etwa als Hektor sich von Frau und Sohn verabschiedet (gelesen von Johanna Wokalek, Markus Meyer und Kotrollbankchef Rudolf Scholten); und Witziges, etwa als die Griechen zu Ehren von Patroklos ihre Wettkämpfe veranstalten, was bei Schrott einer Radioübertragung durch Heinz Prüller ähnelt.
Grandios Tobias Moretti: Mit seinem Vortrag der Heldentat des Griechen Diomedes bewies er, dass man Schauspiel-Delikatessen auch lesend und im Sitzen präsentieren kann.
Das Konzept, neben Burg-Schauspielern auch Laien vortragen zu lassen, ging auf: Mut und Herzblut, mit denen die meisten Gäste lasen, wog den Nachteil auf, inmitten des Burgtheaterensembles nicht Burgtheater-Deutsch zu sprechen. Zur Unterhaltung trug es jedenfalls bei - auch beim griechischen Bauernsalat im Pausenfoyer, wo die Auftritte der Laien heftig diskutiert wurden. Gute Noten bekam etwa Post-General Anton Wais.
Nach 13,5 Stunden Kämpfen, Blutrausch, Zorn, Verzweiflung, war es zu Ende. Hektor wurde von Libgart Schwarz, Pauline Knof und Brigitta Furgler so liebevoll, mitreißend bestattet, dass es eigentlich noch weitergehen hätte können. (Renate Graber/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 1. 2009)
--> Profis neben Laien
Profis neben Laien
Ilias, die Bibel im humanistisch-bildungsbürgerlichen Kanon. Nun sollen die homerischen Epen, so möchte es der österreichische Dichter Raoul Schrott, vor allem Spaß machen mit einer geradezu hemdsärmeligen Sprache anstelle gedrechselter Hexameter. Dieses Ziel wurde in der zweitägigen Marathon-Veranstaltung am Wiener Burgtheater durch das - gelungene - Konzept unterstützt, Laien aus Politik, Wirtschaft und Medien unter das illustre Burg-Ensemble zu mischen.
Freitag und Samstag lasen die Schauspieler Klaus Bachler, Andreas Beck, Bernd Birkhahn, Gerd Böckmann, Andrea Clausen, Franz J. Csencsits, Sven Dolinski, Detlev Eckstein, Brigitta Furgler, Florentin Groll, Sylvia Haider, Dorothee Hartinger, Michael Heltau, Gertraud Jesserer, Ignaz Kirchner, Pauline Knof, Michael König, Sylvia Lukan, Peter Matiæ, Markus Meyer, Tobias Moretti, Elisabeth Orth, Denis Petkoviæ, Klaus Pohl, Robert Reinagl, Sylvie Rohrer, Martin Schwab, Libgart Schwarz, Heinrich Schweiger, Johanna Wokalek und Paul Wolff-Plottegg.