Dieses Mattersdorf liegt heute allerdings in Israel. In Mattersburg selbst erinnert man sich kaum. Man erfüllt bloß eine diesbezügliche Pflicht.

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Mattersburg/Mattersdorf - Als Hans Niessl und Norbert Darabos kurz vor Weihnachten mit Bundespräsident Heinz Fischer zum Staatsbesuch nach Israel reisten, hatten sie drei Dinge im Gepäck, die nicht nur den zu Besuchenden Freude machen sollten, sondern wohl auch den Besuchern: So unübersehbar war deren Beschwörungspotenzial.

Koscherer Wein aus dem Mönchhofer Keller der Familie Hafner, der ziemlich originalgetreu kopierte Schutzbrief des Fürsten Esterházy aus dem Jahr 1800, in dem er den jüdischen Gemeinden in seiner Herrschaft umfassende Sicherheit garantierte. Die Garantien betrafen "burgenländische Erde" . Und auch die wurde überbracht, als der Landeshauptmann und der Verteidigungsminister Mattersdorf besuchten.

Gerühmte Gelehrsamkeit

Es war eine beinahe flehentliche Geste. Wäre sie Jahrzehnte früher erfolgt, wäre sie wohl auch in ihrer Symbolik von einigem Gewicht gewesen. Aber Niessl ist der erste burgenländische Landeshauptmann, der solcherart auf die jüdische Geschichte seines Landes Bezug nimmt. Wohl auch deshalb, weil er bis 2000 Bürgermeister von Frauenkirchen war, eine der berühmten "Sieben-Gemeinden" , der Sheva-Kehillot, auf die der Esterházy-Schutzbrief sich bezog. Neben Frauenkirchen waren das Mattersburg, das bis 1924 Mattersdorf hieß, Eisenstadt (Asch), Deutschkreutz (Zelem), Kobersdorf, Lackenbach und Kittsee.

Vor allem Mattersdorf war weit übers Burgenland hinaus berühmt. Seine Jeschiwa, die Thora-Schule, war so bekannt, dass auch sie bis heute in Jerusalem unter diesem Namen fortlebt. Das lag an der weit gerühmten Gelehrsamkeit der Mattersdorfer. Otto Abeles, ein Wiener Zionist, berichtete 1927 im Wiener Morgen, dass ein Mattersdorfer Kazew, ein Fleischhauer, in Budapest wortgewaltig dem dortigen Rabbi entgegengetreten sei, worauf dieser resigniert erklärt habe, wenn in Mattersdorf schon die Fleischer so seien, wie dann erst die Schriftgelehrten, die B'nei Thoire.

Im Grunde, so überliefern es alle Dokumente, gestaltete sich das Zusammenleben der Juden und der Nichtjuden im Burgenland ohne wirkliche Probleme. Auch Richard Berczeller, Mattersburger Arzt bis 1938 und in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Schreiber im New Yorker, berichtet das. Freilich war das Burgenland einschlägig führend nach dem Anschluss. Schon am 30. September 1938 meldeten die lokalen Nazis stolz, der letzte der 530 Juden sei verschwunden.

Dem war allerdings nur aus einem sehr engen Blickwinkel so. Oberrabbiner Samuel Ehrenfeld und viele seiner Gemeindemitglieder schafften die Emigration nach New York, wo das Mattersdorfer Leben in Brooklyn weiterging. Nach der Ausrufung Israels gründete der Rabbiner im Norden Jerusalems den Stadtteil Kirjat Mattersdorf. Sein Sohn und bis heute dessen Sohn tragen die Mattersdorfer Gelehrsamkeit weiter. Und es ist wohl eines der Rätsel der Politik, dass dieses reiche und vielerorts - nicht zuletzt im ersten jüdischen Museum von Nachkriegsösterreich, dem in Eisenstadt - dokumentierte jüdische Leben, das sich wegen seiner Orthodoxie in einer eigenen Kultusgemeinde organisiert hatte, so nachdrücklich nicht mehr auftauchte.

Mattersburger Amnesie

Wer heute durch Mattersburg flaniert, stößt hin und wieder auf eher lieblos hingestellte Erinnerungen, die kaum mehr sind als der Ausdruck, halt der Pflicht zu genügen. Ein Würfel als Gedenkstein vorm Hochhaus, wo einst die Synagoge stand, eine Gedenktafel am Wohnhaus von Richard Berczeller, ein Friedhof, der die Schande erst recht deutlich macht: Symbolische Steine ersetzen jene, die ab 1938 als Baumaterial für die Straßen verwendet wurde. Jene Bruchstücke, die man gefunden hat, sind in eine Mauer eingelassen. Der Rest liegt immer noch unterm Pflaster der Stadt.

Nur einen Platz gibt es, wo man offensichtlich wirklich der Geschichte gedenkt. Irgendwer hat irgendwann einen Davidstern aufs Viadukt gleich neben dem Pappelstadion gesprayt, darüber den siebenarmigen Leuchter und darunter das Wort Shalom. Vielleicht sogar in der Erinnerung daran, dass einst ein paar Mattersdorfer sich zu einer ballesterischen Bubenpartie namens "Hakoah" zusammengefunden haben. So wie auch in Asch. Dort allerdings hochoffiziell, mit Stempel der Vereinsbehörde. Auch ein Umstand, der nachhaltigem Vergessen anheimgefallen ist. (Wolfgang Weisgram/DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2009)