München - In ganz Deutschland sind die Behörden am Samstag gegen das umstrittene Projekt "Zeitungszeugen" vorgegangen. Allein in Bayern wurden 280 Exemplare der Zeitung beschlagnahmt, denen Nachdrucke von Blättern aus der Zeit des Nationalsozialismus beilagen, wie ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums mitteilte. Die Aktion werde in den kommenden Tagen fortgesetzt. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) hatte das Vorgehen gegen das Zeitungsprojekt, dem auch der "Völkische Beobachter" und das Propagandaplakat "Der Reichstag in Flammen" beiliegt, am Freitag angekündigt. Die Zeitungen sollten an Kiosken verkauft werden.

Verfahren eingeleitet

Gegen den Herausgeber der Zeitung "Zeitungszeugen" wurde nach Merks Angaben von der Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz eingeleitet. Die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda werde hier billigend in Kauf genommen, kritisierte die Ministerin. Die Beilagen seien aus dem Mantelteil der Zeitung leicht herausnehmbar. Aus dem Zusammenhang gerissen könnten sie von Neonazis missbraucht werden. Für eine geschichtliche, wissenschaftliche Auseinandersetzung, wie sie die Herausgeber für sich in Anspruch nahmen, sei ein solches Projekt nicht notwendig.

Proteste von Historikern

Prominente Historiker und NS-Forscher hatten am Dienstag gegen das Nachdruckverbot für Nazi-Hetzblätter im Rahmen des Projekts"Zeitungszeugen" protestiert. Die wissenschaftlichen Berater des Projekts mit Sitz in Berlin erklärten am Dienstag, sie seien "bestürzt" über den Versuch des Ministeriums, die Aufarbeitung von NS-Blättern zu vereiteln.

Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Voraussetzungen für diese Bewegung seien "ohne fundierte Analyse der Original-Dokumente nicht möglich", schrieben dazu die Historiker Hans Mommsen, Gerhard Botz, Wolfgang Benz und andere in ihrem Memorandum. "Nur wer Hitlers Hassreden oder Goebbels Hetztiraden nachgelesen, ja möglichst gehört und gesehen hat, kann sich ein einigermaßen authentisches Bild über den Weg in die schlimmste Katastrophe der Geschichte der Neuzeit machen", heißt es in dem Memorandum.

Das Verbot sei "ein höchst ungeschickter Beitrag zur Mystifizierung und Überhöhung der NS-Propaganda". Den Zeitungen werde damit erneut das Etikett "böse und gefährlich" verpasst, was das Material für die extreme Rechte erst attraktiv mache.

Verlagsrechte

Wie viele Ausgaben von "Zeitungszeugen" bereits verkauft wurden, war zunächst unklar. Wer ein Exemplar gekauft habe, mache sich nicht strafbar, erläuterte Lenzenhuber. Verfolgt werde nur die Verwendung und Verbreitung. "Der Besitz allein ist nicht strafbar." Die bayerische Regierung hält die Verlagsrechte an NS-Propaganda. Sie verbietet den Nachdruck aller Bücher und Zeitungen weltweit, um einer weiteren Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts vorzubeugen. Unter das Verbot fällt auch Hitlers "Mein Kampf".

Hintergrund

"Zeitungszeugen" war in der vergangenen Woche zum ersten Mal erschienen. Die erste Ausgabe enthielt Nachdrucke der deutsch-nationalen Zeitung "Deutsche Allgemeine Zeitung", des kommunistischen "Kämpfers" und des "Angriffs". Herausgeber der Sammlung, die deutschsprachige Zeitungen von 1933 bis 1945 als Nachdruck veröffentlicht, ist der britische Verleger Peter McGee. Zu den wissenschaftlichen Beratern des Blatts gehören unter anderem der Historiker Hans Mommsen sowie Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. In der ersten Ausgabe hatte der frühere deutsche Bundespräsident Walter Scheel das Projekt begrüßt.

Der Faksimile-Druck

In dem Faksimile-Druck des "Völkischen Beobachters" geht es um den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933. Das NS-Blatt trägt die Schlagzeile "Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen" und einen Kommentar von Joseph Goebbels ("Nun aber Schluß! Jetzt aber ein radikales Ende gemacht!"). Die Verantwortung für den Reichstagsbrand wurde von den Nazis den Kommunisten zugeschoben, die ihrerseits behaupteten, die Nazis hätten den Reichstag selbst angezündet. Als Täter wurde Marinus van der Lubbe verurteilt und hingerichtet. Den Nazis bot der Brand einen Vorwand für Notverordnungen und das Ermächtigungsgesetz, nach dem die Regierung ohne Zustimmung des Reichstages Gesetze erlassen konnte. (APA/dpa)