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Scheib mit Arbeitgeberin und First Lady Hillary Clinton.

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Familienfoto mit Präsidentenpaar.

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Aus den Archiven: Hillary und Scheib, 10 Jahre jünger als heute.

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Die Politik trennt, der Küchentisch verbindet: So lautet das Credo von Walter Scheib. Und er muss es wissen. Von 1994 bis 2005 war der 54-jährige Chefkoch in der Küche des Weißen Hauses. Hillary Clinton, damals First Lady an der Seite von Bill Clinton, engagierte den Kalifornier buchstäblich vom Herd weg und machte ihn zum Koch der mächtigsten Familie Amerikas.

Er hat nicht nur für Bill Clinton und, in dessen erster Amtszeit, für George W. Bush gekocht, auch Staatsgäste wie Jacques Chirac, Boris Jelzin und Nelson Mandela aßen, was Scheib ihnen vorsetzte. Seit seiner Entlassung durch Laura Bush 2005 arbeitet er als Berater eines US-amerikanischen Unterhaltungskonzerns und reist als "American Chef" durch das Land. Im Gespräch mit derStandard.at erzählt Scheib von kulinarischer Antizipation, Wurst-Donuts mit Ei und die zehrende Arbeit im dampfenden Vorhof der Macht.


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derStandard.at: Sie haben elf Jahre lang für die mächtigsten Männer der Welt gekocht. Waren Bill Clinton und George W. Bush auch mächtig genug, ihre Frühstückseier selber zu kochen?

Walter Scheib: Nein. Die Präsidentenfamilie hat zwar eine eigene kleine Küche in ihrem Wohnbereich und wir haben darauf geachtet, dass ein gewisser Grundstock an Lebensmitteln da ist, aber es war ja unsere Aufgabe, dass sie keinen Finger rühren müssen. Ich habe es nicht erlebt, dass die Präsidentenfamilie die Küche je benutzt hat, außer ab und zu zum Kaffeekochen. Das hat auch mit dem extrem dichten Zeitplan des Präsidenten und der First Lady zu tun, die von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr am Abend Termine haben. Wenn sie dann im Weißen Haus sind, das ja auch ihre Wohnung ist, leben die beiden wie ganz normale Menschen und wir bemühen uns, ihnen Ruhe zu verschaffen.

derStandard.at: Die ehemalige First Lady Laura Bush soll dem Vernehmen nach Wert auf biologische Lebensmittel gelegt haben, ihrem Ehemann soll das weniger wichtig gewesen sein. Wer entscheidet denn darüber, was der US-Präsident vorgesetzt bekommt?

Walter Scheib: Das Weiße Haus ist kein Hotel oder Restaurant, sondern eine Privatwohnung. Und dort gilt, so wie in vielen Haushalten, das Prinzip 'Wenn Mama zufrieden ist, sind alle zufrieden'. Die First Ladys geben üblicherweise die Marschrichtung vor, nach der wir kochen. Jede Woche stellen wir einen Speiseplan zusammen, wo auch Dinge wie Kalorien, Fettgehalt und Anteil an Kohlenhydrate vermerkt sind. Nach zwei oder drei Wochen kann man dann abschätzen, worum es den First Ladys bei der Ernährung geht. Die wichtigste Aufgabe des Küchenchefs im Weißen Haus ist es zu antizipieren, was sich die Präsidentenfamilie wünscht.

derStandard.at: Gibt es einen Vorkoster, etwa aus Gründen der Sicherheit?

Walter Scheib: Nein, es gibt keinen Vorkoster. Natürlich probiert jeder Küchenchef während des Zubereitens die Dinge, die er fabriziert, aber eher aus Qualitätsgründen denn aus Gründen der Sicherheit. Aber eines ist klar, kein Koch will in die Geschichte als derjenige eingehen, der den Präsidenten vergiftet hat. Gemeinsam mit dem Secret Service wird jeder Einkauf genau überprüft. Wenn man im Weißen Haus arbeitet, speziell als Küchenchef, ist man Geheimnisträger der höchsten Sicherheitsstufe, genannt 'presidential proximity'. Man arbeitet in direktem Kontakt mit dem Präsidenten und seiner Familie arbeitet, ohne dass der Secret Service immer dabei sein kann. Nicht einmal meiner Frau habe ich gewisse Dinge erzählt, die ich im Weißen Haus gesehen oder gehört habe, manche Geschichten nehme ich mit ins Grab.

derStandard.at: Bevor Sie nach Washington gekommen sind, haben Sie in einigen der besten Restaurants Amerikas gekocht. Konnten Sie im Weißen Haus eigentlich noch kreativ sein?

Walter Scheib: Prinzipiell geht es ja darum, der Präsidentenfamilie ein privates Essen zu ermöglichen, das natürlich stark dem Geschmack der First Lady unterworfen ist. Wirklich kreativ konnte ich eher bei den großen Gala-Diners sein, die wir zum Beispiel für Staatsgäste veranstaltet haben. Im Weißen Haus muss man flexibel sein, in dem einen Moment will der Präsident ein Sandwich mit Erdnussbutter, kurz darauf muss man ein Staatsbankett mit 900 Gästen bekochen, dann ein Picknick für 6000 Menschen vorbereiten.

derStandard.at: Ihr Gehalt war mit 196.000 Dollar pro Jahr höher als das von Bush-Chefberater Karl Rove. Finden Sie das gerechtfertigt? Und wie viel mussten sie dafür arbeiten?

Walter Scheib: Naja, man kann ja ganz gut ohne politischen Rat auskommen, aber ohne Essen? (lacht) Im Weißen Haus gilt ein Arbeitszeitmodell namens Flextime, das heißt, dass ich mir aussuchen konnte, in welchen 90 Stunden in der Woche ich arbeite. Eine Stunde bevor der Präsident und die First Lady in der Früh aufstehen geht es los, wenn sie zu Bett gehen endet auch unsere Arbeitszeit. Oft genug war aber auch in der Nacht etwas zu tun, das heißt, ich habe oft vom Abendessen bis zum Frühstück durchgemacht. In der Weihnachtszeit arbeitet man in der Küche 100 bis 110 Stunden pro Woche, das war körperlich und mental schon ziemlich anstrengend. Die Küche des Weißen Hauses ist ja nicht so groß, wie man sich das vielleicht vorstellt, etwa 30 mal 30 Fuß (knapp 80 Quadratmeter, Anm.). Fast wie ein Porsche-Motor: klein, aber effizient.

derStandard.at: Sie sollen die "American Cuisine" ins Weiße Haus gebracht haben. War das Ihre eigene Mission oder der Wunsch der Präsidenten?

Walter Scheib: Das war der professionelle Anspruch, den Hillary Clinton an mich gestellt hat. Bis in die Siebzigerjahre hinein wurde im Weißen Haus in der Hauptsache französische Küche geboten, seit den Neunzigern ist die zeitgenössische amerikanische Küche so umfassend und reif geworden, dass man sie auch im Weißen Haus kochen kann. Es ist aber nicht so, dass man zwischen demokratischem und republikanischem Essen unterscheiden kann, die Trennlinie verläuft zwischen den Geschlechtern. Die First Ladys wollten beide gerne neue Dinge ausprobieren, haben abenteuerliche Dinners geschätzt und haben Wert auf gesunde Ernährung gelegt. Für die Männer hätte wahrscheinlich auch eine Burgerbude im Erdgeschoß des Weißen Hauses gereicht und sie wären genauso zufrieden gewesen. Für Clinton und Bush waren Speisen gut, wenn man eine Scheibe Käse auf ihnen schmelzen lassen konnte.

derStandard.at: Wie ging der Übergang von Bill Clinton zu George W. Bush vonstatten, was Ihre Arbeit betrifft?

Walter Scheib: Gar nicht so viel. Die beiden First Ladys waren recht ähnlich in ihrem Stil und ihrem Ansprüchen. Hillary Clinton hat aber zum Beispiel bei formelleren Anlässen immer lieber Lammfleisch verlangt, während Laura Bush auf Rind bestanden hat, was vielleicht auf ihre texanische Heimat verweist.

derStandard.at: Sie haben regelmäßig Politikgrößen aus aller Welt bekocht. Wer stellte die ungewöhnlichsten Ansprüche?

Walter Scheib: Die Assistenten von Helmut Kohl (deutscher Bundeskanzler 1982-1998, Anm.) haben sich zum Beispiel anfangs immer beschwert, dass er von unseren Portionen nicht satt würde. Irgendwann haben wir ihm dann zwei Portionen auf einen großen Teller geladen. Weil ihm auch das nicht gereicht hat, ist er, wie ich gehört habe, direkt vom Mittagessen um vier Uhr am Nachmittag ins Weiße Haus gekommen, um zu Abend zu essen. Und da war dann noch ein französischer Premierminister, der wollte bei uns keinen Wein trinken, sondern hat darauf bestanden, amerikanisches Bier serviert zu bekommen. Das fand ich schon ein wenig seltsam.

derStandard.at: Was war das außergewöhnlichste Essen, das sie im Laufe ihres White House-Engagements zubereitet haben?

Walter Scheib: Für die Clintons haben wir einmal ein Picknick veranstaltet, zu dem Gäste aus Arkansas (dem Heimatbundesstaat von Bill Clinton im Süden der USA, Anm.) geladen waren. Dort gab es 'Fried Baloney Tralala'. Man nimmt dafür einen ganzen Laib Baloney (eine Art Mortadella-Wurst, Anm.), schneidet sie in etwa drei Zentimeter dicke Scheiben, sticht die Mitte aus und hat dann einen Wurst-Donut, den man auf den Grill legen kann. Dann haben wir ein Ei darüber geschlagen und das ganze noch in der Pfanne gebraten. Das haben wir für 1250 Personen gemacht und ich hatte große Bedenken, ob es genießbar sein würde. Aber die Leute waren zufrieden und haben sich gefreut, in Washington eine Spezialität aus Arkansas zu bekommen.

derStandard.at: Wie schätzen Sie Barack Obamas Essvorlieben ein?

Walter Scheib: Was wenige wissen ist, dass der neue Präsident als erste Amtshandlung nach dem Eid zurück ins Kapitol geht und erst einmal zu Mittag isst. Das Usher's Office (leitet alle Angelegenheiten des präsidialen Haushalts, Anm.) und Obamas Team haben sicherlich alle Details abgesprochen. Trotzdem ist es für einen Koch die ersten paar Wochen ziemlich schwer, nach acht Jahren Bush auf einen neuen Boss umzuschalten. Aber für Michelle Obama gilt genauso wie für alle bisherigen First Ladys: sie mögen gutes Essen, wir kochen gutes Essen, alle sind zufrieden. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 21.1.2009)