Kiew/Moskau - Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine ist zwar am Wochenende zu Ende gegangen, aber innerhalb der Ukraine wird noch immer gestritten. Während sich Premierministerin Julia Timoschenko, die den neuen Gasliefervertrag mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin aushandelte, als strahlende Siegerin im Gaskonflikt sieht, spricht Präsident Viktor Juschtschenko von einer verheerenden Niederlage für die Ukraine.
Im Gasstreit wurde einmal mehr offensichtlich, dass der seit Timoschenkos zweiter Amtszeit schwelende Machtkampf zwischen den einstigen politischen Weggefährten der Orangen Revolution das Land lähmt. Und das, obwohl Regierungschefin und Präsident zu Beginn der Gaskrise mit Russland beteuerten, im Gasstreit an einem Strang ziehen zu wollen.Doch die in einem Jahr stattfindende Präsidentenwahl, bei der Timoschenko Juschtschenko beerben will, sowie die bedrohliche wirtschaftliche Lage in der Ukraine lassen keinen Waffenstillstand zu.
Juschtschenko, der derzeit laut Umfragen bei weniger als drei Prozent Zustimmung liegt, kämpft um sein politisches Überleben. Seine Leistung im jüngsten Gaskonflikt war laut Beobachtern jedoch mäßig. Denn während Juschtschenko in Kiew einen zum Scheitern verurteilten Gegengipfel zur Moskauer Krisenkonferenz abhielt, war es Timoschenko, die nach Moskau flog und gemeinsam mit Putin eine Einigung herbeiführte. Darüber hinaus gelang es der Regierungschefin, sich in der Frage des umstrittenen Zwischenhändlers RosUkrEnergo durchzusetzen, deren Ausschaltung sie seit mehr als einem Jahr forderte.
"Die klare Siegerin in dieser Auseinandersetzung ist Julia Timoschenko, während Juschtschenko am meisten verloren hat" , analysiert die russische Kommentatorin Julia Latynina. Sie wertet die eine Milliarde US-Dollar, die Gasprom im Gasstreit verloren hat, als "Beitrag zu Timoschenkos Kampagne zur Präsidentenwahl" .
Russland für Timoschenko
Denn Russland würde sich über einen Wahlsieg Timoschenkos auf jeden Fall mehr freuen als über eine neuerliche Amtsperiode des unbeliebten Juschtschenko, der sich im Georgienkrieg noch dazu auf die Seite des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili schlug. Timoschenko hat in den vergangenen Jahren auf einen russlandfreundlichen Kurs umgeschwenkt, da sie für die Wahl zur Präsidentin auch die Stimmen der russischsprachigen Ost-Ukraine benötigt. Timoschenko würde laut einer Umfrage des FOM-Instituts vom November auf 20 Prozent der Stimmen kommen. Der ehemalige Premier Viktor Janukowitsch von der pro-russischen Partei der Regionen ist ihr jedoch mit 17 Prozent Zuspruch dicht auf den Fersen.
Timoschenko versucht daher, aus ihrem Verhandlungserfolg so viel politisches Kapital zu schlagen wie möglich. Dazu gehören auch die Anschuldigungen an die Adressen des Präsidialamtes und der Partei der Regionen, denen sie vorwarf, von RosUkrEnergo Schmiergeld bekommen zu haben. Bleibt abzuwarten, was die Wähler mehr beeindruckt: die Tatsache, dass es einen Liefervertrag mit Gasprom gibt - oder doch der nun drastisch höhere Gaspreis. (Verena Diethelm, Printausgabe, DER STANDARD, 22.1.2009)