"Das Schlimmste, was passieren kann, ist ein Sieger mit Nummer eins."

Foto: Rottenberg

Standard: Herr Horn, wie sehr blutet ihr Herz, wenn sie zur Sprecherkabine über dem Streif-Ziel schauen?

Horn: Gar nicht. Und: Ich hatte das Erlebnis des Zuhörens ja schon. Ich habe letztes Jahr aus Protest gegen die Verlegung des Slalomhanges gesagt, ich mache nur die Speedbewerbe. Die Streckenführung im Slalom war falsch, da konnte keine Stimmung aufkommen. Ich bin dann auf der Ehrentribüne gesessen - und habe recht behalten: ganz ehrlich, ich habe mich gelangweilt.
Heuer Zuseher zu sein, tut nicht weh. Im Gegenteil: Ich freue mich darauf, heuer das este Mal den Start zu sehen. Das habe ich ja alles noch nie erlebt und das soll extrem spannend sein. Ich werde auch zur Mausefalle gehen - und mich einfach unter die Leute mischen. Das wird sicher toll.

Standard: Da ist wirklich keine Spur Wehmut?

Horn: Nein. Man muss mit Dingen abschließen können. Und ich bin ja noch da. Im Skiclub bin ich eines der drei Ehrenmitglieder (neben Toni Sailer und Klaus Reisch; Anm.) und ich bin Mitglied des „Weisenrates". Aber es ehrt und freut mich natürlich, wenn viele Leute sagen, dass da eine Epoche zu Ende geht. Und dass ich eine Institution bin. Das tut sehr gut. Aber ich mache lieber Schluss, solange ich gut bin - nicht erst, wenn die Leute sagen: Was will der alte Depp noch da oben?

Standard: Wie wird man zur Stimme der Streif?

Horn: Ich bin schon als Jugendlicher beim Tennisturnier mit dem Auto mit einem Lautsprecher durch die Gegend gefahren. 1963 ist der damalige Platzsprecher, der Schweizer TV-Kommentator Karl Erb ausgefallen. Da hat mich der Skiclubpräsident, Kurt Beranek, beim Fünfuhrtee in der Tenne gefragt: „Michael, du musst uns aus der Patsche helfen - wir haben keinen Platzsprecher." Also bin ich rauf auf den Turm. Das war damals ein primitives Häusl, eine echte Holzbaracke.
Unten stand Bertl Neumann, der Pressechef der olympischen Spiele 1964 in Innsbruck - und der war begeistert. Er hat mich vom Platz weg engagiert. Ich war dann auch Und 1976 Sprecher dort: Ich hab den Klammer runterlassen und all diese österreichischen Triumphe miterlebt.

Standard: Nur in Österreich?

Horn: Nein. 1980 hat mich der Renn-Chef von Aspen gehört: „We want to have the spirit of the Hahnenkamm" meinte er - also hab ich dort auch moderiert: Die haben das Ziel von Kitz auf den Zentimeter genau nachgebaut. Ich habe dann überall gesprochen und moderiert USA, Australien, Frankreich Italien - überall. Die Leute mochten mich, weil ich das mit Herzblut gemacht habe.

Standard: Macht einen dieses Herzblut zur Legende?

Horn: Ein deutscher Fleischfabrikant, der Mentor von Franz Beckenbauer, kam einmal zu mir und sagte: „Sie wissen schon, dass das eine Gottesgabe ist?" Das wird es wahrscheinlich sein. Jeder hat ein bestimmtes Talent.
Aber es gibt auch andere wichtige Dinge: ich habe mich immer gut vorbereitet. Die Leute interessieren ja auch private Kleinigkeiten. Aber das muss man richtig portionieren. Und dafür hatte ich meinen Bauerncomputer.

Standard: Was ist ein Bauerncomputer?

Horn: Wir -also meine Frau und ich, wir waren immer ein Team - haben mit kleinen Kärtchen gearbeitet. Die haben wir am Tisch hin und her geschoben. Das ist besser und präziser als jede Elektronik. Und viel schneller.

Standard: Aber das macht für das Publikum einen unterschied, oder?

Horn: Nein. Aber ich habe trotzdem anders gearbeitet, als viele Kollegen. Ich habe die Leute nicht überfordert, indem ich dauernd gesprochen habe. Sondern ich habe ihnen Pausen gegeben. Damit sie selbst zusehen können. Heutzutage werden die Leute mit einem einzigen Brei, einem Schwall zugedeckt. Das ist schrecklich. Denn ein Rennen ist wie ein Theaterstück: Da gehört Dramaturgie hinein.

Standard: Die Streif - das Burgtheater im Skizirkus? Ist das der Mythos?

Wahrscheinlich. Anlässlich 100 Jahre ÖSV gab es im Wiener Museumsquartier einen Festakt. Da haben die Wiener Philharmoniker musiziert - und ihr Chef Herr Hellsberg verglich eine Symphonie mit der Streif. Auch da gibt es Aufbau, Tempo, Spannung, Entspannung. Das hat mich beeindruckt. Denn es ist wirklich so Die Sreif ist wie eine Symphonie aufgebaut - bis zum fulminanten Finale. Und als Sprecher ist man gut, wie man das auch so anlegt.

Standard: Aber hält sich der Rennverlauf an dieses Konzept?

Horn: Das schlimmste, was einem Platzsprecher passieren kann ist, wenn die Startnummer Eins Bestzeit fährt - und sie hält. Ideal ist es, wenn wie 1976 in Innsbruck, der Bernhard Russi vom Start weg führt - und der Klammer mit Nummer 15 noch Bestzeit holt.

Standard: Ist die Aufregung des Sprechers dann echt - oder ist man Showprofi?

Horn: Da gehen schon Herz und Temperament mit mir durch. Wenn dann einer schreibt, ich hätte geschrieen, ärgert mich das: Ich hab nie geschrieen - aber ich lebe mit. Auch die Läufer bekommen so etwas mit. Armin Assinger sagte mir einmal, dass man bei andere Rennen nur Lärm hört - auf der Streif aber versteht man jedes Wort.

Standard: Und die schlimmen Erlebnisse? Wie moderiert man weiter, wenn ein Scott McCartney zuckend im Zielraum liegt?

Horn: Das war schlimm. Da hilft nur Routine. Man muss extrem vorsichtig sein, wenn man dann die Stimmung wieder aufbauen will. Und auch wie und was man da sagt: Da vorne liegt einer und zuckt. Und alle denken das Gleiche: Hier stirbt ein Mensch. Es war mit das Schönste, was ich je hier sagen konnte, als ich durchgeben konnte, dass er schon wieder bei Bewusstsein ist. Natürlich habe ich das Rennen dann wieder aufbauen müssen. Ganz ganz vorsichtig.

Standard: Hätten sie - im Rückblick - manche Worte gern zurück genommen?

Horn: Nein. Bei uns gibt es eben kein Playback. Das gesprochene Wort st da - und gilt. Vor Jahren habe ich einmal, als alle Österreicher auf einer bestimmten Mark schlecht fuhren - gesagt „auf was für gurken sind denn die unterwegs". Am selben Tag ist der Skifabrikant mit einer ganzen Delegation kommen: Wie ich es wagen könne... Dabei hatte ich den Namen der Marke nicht einmal gesagt. Ein anderes Mal habe ich Vorprogramm alle Nationen begrüßt - und anscheinend Jugoslawien vergessen. Da kam dann eine Depesche der Botschaft an Alois Mock. Der war damals Außenminister. Das Ministerium schickte den Brief an den Skiclub weiter. Mit der Bitte um Stellungnahme: Diplomatische Verwirrungen - wegen eines Platzsprechers ...

Standard: Aber wieso ist Kitzbühel so wichtig? Was unterscheidet die Streif von anderen Rennen?

Horn: Die Kontinuität - seit 1931 - macht viel aus. Die Strecke endet mitten in der Stadt. Man sieht und spürt das Rennen überall. Und wir strengen uns an: Wir könnten uns zurücklehnen und sagen: Wir haben Ausfallsversicherungen. Aber wir wollen das Rennen, nicht das Geld - das ist ein Teil des Mythos. Und dann ist da auch die Strecke: Die Streif muss man niemandem erklären: Wenn etwas schwierig ist, in der Kunst oder in der Wirtschaft, dann kommt er - der Streif-Vergleich.

Standard: Ist das Rennen also ein Stück österreichischer Identität? Wie Mozartkugel und Sängerknaben?

Horn: Absolut. Die Streif steht für Österreich. Die TV-Übertragung verkauft sich ja nach dem Neujahskonzert als bestes Produkt. Das ist ein Aushängeschild.

Standard: Der Platzsprecher ist Schnittstelle zwischen Sport und Event. Wie hat sich der verändert?

Horn: Ganz gravierend. Früher stand der Sport im Mittelpunkt. Heute sind fast die Events rundherum mehr wert. Obwohl die Sportler ihr Leben einsetzen. Die Fahrer bekamen früher unten eine Ovomaltine - und das war es. Das Publikum war nicht getrennt in ViPs und Normalsterbliche. Das hat sich alles entwickelt: Erst ein kleiner abgesperrter Raum, den wir „VIP"-Sack nannten. Dann wurde das größer, wurde zur Tribüne - und jetzt ist da seit 15 Jahren das Zelt. Das kam alles aus den USA - aber dort zahlen nur die VIPs - und das normale Publikum nicht.
Das ist ja längst überdimensional.

Standard: Braucht man das?

Horn: Nein. Aber die Sponsoren verlangen das. Aber das wird jetzt wegen der Krise wohl ein wenig zurückgefahren werden müssen. Vielleicht gibt es dann im Zielgelände nicht mehr Kaviar, sondern Wurstbrote.

Standard: Aber ist der Spirit von Kitzbühel die Vip-Zone - oder das Wurstbrot?

Horn: Man kann sich dem nicht verschließen. Leute wie Gerhard Berger und Bernie Ecclestone sind gewohnt, dass das so und nicht anders zu funktionieren hat. Was man aber ein bisserl ausbauen sollte, ist das Verwöhnen des normalen Publikums. Denn die Stimmung machen nicht die VIPs.

Standard: Aber wenn die „Stimme des Rennens" sagt, dass der Event wichtiger daherkommt, als das Rennen, klingt das nicht euphorisch, oder?

Horn: Ich bin damit nicht glücklich. Es ist zu viel geworden. Es gibt ja innerhalb des VIP-Zeltes auch noch Klassenunterschiede: Oben die Zigarrenlounge - und unten das VIP-Fußvolk. Mit dem Sport hat das nichts mehr zu tun - und trotzdem ist es für den Sport wichtig: Früher bekam der Anderl Molterer oder der Toni Sailer vom Kneissl Franz einen Tausender. Und ein paar Ski. Heute gibt es 550.000 Preisgeld - das muss erst mal eingenommen werden. Es geht wohl nicht anders.

Standard: Aber hat sich wirklich nur das Drumherum verändert?

Horn: Nein, auch die Rennfahrer haben sich verändert: Früher konnte man die angreifen. Heute sind sie beim Interviewtermin - und dann sieht man sie nimmer. Der Kontakt mit den Leuten ist komplett verloren gegangen: Früher haben die Franzosen in der Tenne Twist getanzt - und sind am nächsten Tag ein super Rennen gefahren. Wenn man all das ein Stückerl zurückstutzt, auf Normallevel bringt, werden wir auch nicht untergehen.

Standard: Noch einmal zu ihnen. Was ändert sich beim Hahnkammrennen also heuer für Michael Horn?

Horn: Ich kann endlich mal ein Bier trinken gehen. Ich habe all diese Empfänge und Events immer ausgelassen, weil ich mich vorbereiten musste. Ich werde vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben zur Weißwurstparty gehen. Und ich kann es mir erlauben, in der Rennwoche auch andere Dinge zu tun: Am Donnerstagabend war ich am Philharmonikball - da wollte ich mein ganzes Leben schon einmal hin. (Thomas Rottenberg; 23. Jänner 2009)