Nebjosa Popović nimmt seinen Job sehr ernst. Zu seinen Aufgaben gehört es, aufmerksam zuzuhören. Die Mitarbeiter des kleinen rundlichen Kommandanten auf der Polizeistation in Graèanica berichten jeden Tag in der Früh über die Ereignisse der vergangenen Nacht: In einem Lokal hat ein Mann bei einem Streit ein Gewehr genommen und in die Luft geschossen. Passiert ist nichts. Das Gewehr hat die Polizei eingesammelt. Nebjosa Popović kann also beruhigt sein: Es war eine Nacht wie jede andere.

Im Kosovo gibt es eben noch viele Waffen - und viele Gründe, ein bisschen zu viel zu trinken. Und das nicht nur in der serbischen Enklave Graèanica, ein paar Kilometer außerhalb von Prishtina. Geregelte Arbeit gibt es überall zu wenig, dafür aber viel Improvisation.

Ein bisschen Serbien

Auf den Autos vor dem Gemeindeamt in Graèanica stehen Saftflaschen zum Verkauf bereit. Die Menschen drängeln sich auf der Hauptstraße, Reifen werden montiert, Neuigkeiten ausgetauscht, vor dem Postamt stehen große glänzend gelbe Wagen, direkt aus Belgrad. In Graèanica, einem Ort mitten im Kosovo, ist ein bisschen Serbien. Viele Kosovaren, wie der Serbe Nebjosa Popović, haben in den letzten Jahren gelernt, den Widersprüchlichkeiten dieses Landes mit Charme und in aller Ruhe zu begegnen.

Zu den neuen Aufgaben von Popović und seinen Polizisten - die Mehrheit der 55 Männer sind Albaner, viele Serben boykottieren seit der Unabhängigkeit des Kosovo noch immer den Polizeidienst - gehört es, von der EU-Mission Eulex "gemonitort" , also beobachtet zu werden. Deshalb sitzen beim Morgenrapport auch ein großer slowenischer und ein deutscher Polizist, beide mit leuchtend blauen Emblemen mit gelben Sternen darauf, neben den lokalen Beamten. Sie mischen sich nicht ein, sie schauen nur zu. Gesprochen wird hier serbisch. Der Slowene kann das leicht verstehen, weniger vielleicht aber der deutsche und der albanische Beamte. Wenn der Albaner spricht, werden seine Worte wiederum von einer Übersetzerin ins Englische übertragen. Englisch ist hier auch Amtssprache.

205 Millionen aus Brüssel

Der Kosovo ist einer der internationalsten Plätze Europas. Seit der Nato-Invasion 1999, durch die die Unterdrückung und gezielte Vertreibung der Kosovo-Albaner durch das Milošević-Regime beendet wurde, ist das schon so. Heute sind weniger die UNO-Beamten in ihren großen weißen Wagen zu sehen - die meisten sind im Laufe des vergangenen Jahres abgezogen worden. Seit zwei Monaten fahren etwas kleinere, oft dunkle Autos mit großen Eulex-Kennzeichen und sehr kurzen Nummern auf den Nummerntafeln über die teils neuen, glattasphaltierten Straßen. 1300 Eulex-Polizisten sind derzeit im Land. Die gesamte Rechtsstaatsmission hat für das erste Jahr 205 Millionen Euro gekostet.

Ralph Merkle aus Deutschland will ein Jahr bleiben. In einem halben Jahr vielleicht, so erzählt er, würde er beginnen, seinen kosovarischen Kollegen ein paar Ratschläge zu erteilen. "Wenn es nötig ist." Die EU-Mission agiert zurückhaltend. Eigentlich hätte sie ja bereits im Juni vergangenen Jahres starten sollen, aber es hat noch ein paar Monate gedauert, bis ein Kompromiss mit Serbien gefunden wurde und Merkle die hellblaue UN-Mütze gegen die dunklere EU-Mütze austauschen konnte.

Mittlerweile hat sich das Chaos ein bisschen gelegt. Aber auch weil die Rechtslage verwirrend ist - die Vertreter der Serben akzeptieren den neuen Staat und daher auch seine Verfassung und Gesetze nicht -, sind noch immer nicht alle Aufgaben der Mission geklärt. Im serbischen Graèanica weiß keiner, welches Gesetz einzuhalten ist. Die alten Regeln der UN-Verwaltung Unmik? Die neue Verfassung? Die Gesetze, die das Parlament in Prishtina erlässt? Im Kosovo hat man gelernt zu warten.

Doch etwas hat sich gelöst im Kosovo, das erkennt man an der Stimmung der Menschen auf der Nene Therese, dem Boulevard mit der roten und weißen Weihnachtsbeleuchtung im Herzen von Prishtina. Mädchen in ihren karierten Röcken, den Schuluniformen, stapfen durch den von der Wintersonne weichgewordenen Schnee. Dazwischen eilen die Anzugmenschen, die aus den großen Gebäuden mit den Spiegelglasfassaden - in Prishtina heißt das "Dubai Style" - herauskommen. Seit der Unabhängigkeit am 17. Februar im Vorjahr trauen sich die serbischen Kosovaren viel mehr, sich frei durch den Kosovo zu bewegen. Auch mit serbischen Autokennzeichen. (Adelheid Wölfl aus Prishtina/DER STANDARD, Printausgabe, 24.1.2009)