Washington/Brüssel/Wien - Das Ereignis hatten alle noch freudig begrüßt, von dessen Konsequenzen dagegen wollen viele nichts wissen: Seit US-Präsident Barack Obama per Dekret das Gefangenenlager Guantánamo Bay auf Kuba geschlossen hat, herrscht vor allem in Europa Uneinigkeit über die Frage, was denn mit den dort noch immer festgehaltenen 245 Menschen passieren soll. Einige davon erwartet ein Verfahren in den USA, rund 60 meist schuldlos internierte Personen aus Ländern wie China, Tunesien, Syrien oder Usbekistan dagegen können laut Amnesty Österreich nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil ihnen dort Folter droht. Sie sollen nun in anderen Staaten Zuflucht finden.

  • Wer nimmt die Gefangenen auf? Deutschland, Finnland, Irland, Portugal, Schweden, Großbritannien und die Schweiz haben ihre Bereitschaft erkennen lassen, Entlassene aufzunehmen. Andere EU-Länder dagegen sind sehr zurückhaltend. Der SP-Europaabgeordnete Hannes Swoboda betonte am Freitag, dass die EU "keine Mitschuld im Zusammenhang mit Guantánamo" trage. "Jedoch tragen jene Mitgliedstaaten, die direkt oder indirekt verdeckte CIA-Operationen in Europa unterstützt haben, eine große Verantwortung", er fordere diese Staaten auf, Häftlinge aufzunehmen. Am Montag wollen die EU-Außenminister in Brüssel über die Sachlage beraten.
  • Was ist die österreichische Position? Obwohl der UN-Anti-Folter-Beauftragte Manfred Nowak die Republik unlängst im Standard aufgefordert hat, sich in diesem Fall humanitär zu verhalten, ist die österreichische Bundesregierung strikt gegen eine Aufnahme. Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) dazu am Freitag im ORF-Radio: "Verantwortlich sind die USA. Wer ein Problem verursacht, der muss es auch wieder lösen." SPÖ, ÖVP, BZÖ und FPÖ fürchten allesamt Sicherheitsrisiken. Alle lehnen eine Aufnahme ab. Nur die Grünen sind dafür, die Frage "ernsthaft zu prüfen und zu überlegen".
  • Ein Lager im Jemen Für jemenitische Heimkehrer wird in dem arabischen Land ein neues Aufnahmelager errichtet. In dem Rehabilitationszentrum sollen sie "erbauliche Schulungen zur Mäßigung erhalten, damit sie sich von Extremismus und Terrorismus fernhalten", berichtet die staatliche Zeitung 26. September. Rund 100 der 250 Gefangenen in Guantánamo sind Jemeniten.
  • Einige Gefangene wollen bleiben. Vier der fünf Angeklagten, darunter der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge vom 11. September, Khalid Sheikh Mohammad, waren gegen die Aussetzung ihrer Verfahren und die Schließung des Lagers. Sie sind geständig und wollen vor den Militärtribunalen auf schuldig plädieren, was ihnen die Todesstrafe einbringen könnte. Mohammed erklärte bei den Anhörungen stets, er wolle den Märtyrertod für den Islam sterben.
  • Was sagen die Vereinten Nationen? UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay forderte, die unschuldig in Guantánamo einsitzenden Häftlinge müssten unverzüglich freigelassen und für die Jahre der Haft auch angemessen entschädigt werden. Die als schuldig angesehenen Gefangenen hätten ihrerseits das Recht auf einen raschen und gerechten Prozess.
  • Gibt es Rückfalltäter? Laut New York Times soll ein 2007 aus dem Internierungslager entlassener Saudi inzwischen Chef des Al-Kaida-Ablegers im Jemen sein. Er soll hinter einem Bombenanschlag auf die US-Botschaft im Jemen im vergangenen Jahr stehen. (Christoph Prantner/DER STANDARD, Printausgabe, 24.1.2009)