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Ex-Minister Bartenstein (li.) und OMV-General Ruttenstorfer bei der ersten "Nabucco"-Konferenz 2006: Ist man zwei Jahre später schneller dort, obwohl man immer noch nicht weiß, wie man hinkommt?
Wie geopolitische Fantasien den Blick auf energiewirtschaftliche Realitäten verstellen: der Budapester Gipfel über den "Südlichen Gas-Korridor" als Akt der Energieverschwendung.
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Der am Montag in Budapest eröffnete "Nabucco-Gipfel" hätte wohl nicht besser terminiert sein können. Als Folge des jüngsten Gaskonflikts zwischen Russland und der Ukraine wird über alternative Versorgungsrouten für Europa wieder breit debattiert. Nachdem 18 EU-Staaten im Jänner von teils massiven Lieferausfällen betroffen waren, erhält die Nabucco-Pipeline nun neuen politischen Schwung. Mit diesem Vorzeigeprojekt will die EU kaspisches Gas unter Umgehung russischen Territoriums importieren.
Doch so wichtig die Bemühungen um eine Diversifizierung der Gasimporte auch sind - die Debatte über Nabucco ignoriert sehr häufig die letztlich entscheidende Frage: Wo sind ausreichende Mengen an Gas vorhanden, um diese Pipeline überhaupt wirtschaftlich betreiben zu können?
Die europäische Diskussion über Strategien einer gemeinsamen "Energieaußenpolitik" leidet unter einem zentralen Mangel: Das Bemühen um Energieversorgungssicherheit wird primär als neues "Great Game" interpretiert, also als geopolitisch auszufechtender Kampf um Liefer- und Transitregionen. Dementsprechend ist zwar häufig von der "russischen Einkreisungsstrategie" und "strategischen Pipelinekorridoren" die Rede, relativ selten aber von den eigentlich entscheidenden ökonomischen Parametern: Investitionen in Exploration und Förderung sowie belastbare Lieferverträge. Fakt jedoch ist, dass bislang kaum Lieferzusagen für Nabucco existieren, denn auf absehbare Zeit sind in der kaspischen Region nicht genügend Gaskapazitäten verfügbar.
Mit Gas aus Aserbaidschan allein wird sich Nabucco kaum rechnen. Turkmenistan wiederum werden zwar weitaus größere Potenziale zugesprochen; kein westlicher Energiekonzern ist jedoch bisher das Risiko eingegangen, in Turkmenistan Dutzende von Milliarden US-Dollar für Exploration und Förderung bereit zu stellen. Doch selbst im Falle ausreichender Investitionen bliebe die Transportfrage ungelöst. Pipelines in den Westen würden über Iran oder Russland führen müssen. Der Bau einer alternativen Unterwasserleitung durch das Kaspische Meer wird auf absehbare Zeit an Grenzstreitigkeiten der Anrainer scheitern. Eine Verschiffung des verflüssigten Gases und dessen anschließende Regasifizierung in Aserbaidschan ist keine rentable Option. Und last, but not least: ein Großteil der voraussichtlich verfügbaren Liefermengen sind Gasprom bereits in Langfristverträgen zugesichert worden.
Dass die Realisierung des europäischen Vorzeigeprojekts schon seit Jahren kaum voran kommt, ist nicht auf eine mangelnde Einigkeit der Europäer zurückzuführen, sondern schlicht auf fehlende Lieferzusagen. Die bisherige Diskussion um Nabucco stellt das im Gasgeschäft übliche Vorgehen schlicht auf den Kopf. Statt den Dreischritt aus "prove, drill, export" zu gehen, wird schon im ersten Schritt eine Pipeline gefordert, während die Verfügbarkeit ausreichender Mengen einfach als gegeben vorausgesetzt wird. Da das private Betreiber-Konsortium unter Führung der OMV dieses Problem selbstverständlich längst erkannt hat, wird der Baubeginn ein ums andere Mal verschoben.
Bemerkenswert ist deshalb, worüber im Zusammenhang mit Nabucco nur selten gesprochen wird: Iran. Das Land verfügt nachweislich über ausreichende Gas-Reserven, deren Förderung zu heutigen Marktpreisen rentabel wäre, und die über vergleichsweise wenige Transitstaaten nach Westeuropa gebracht werden könnten. Der iranische Gassektor ist bis dato jedoch kaum ausgebaut, auch hier existieren gegenwärtig noch keine freien Förder-Kapazitäten. Aufgrund der politischen Brisanz sehen sich die im Iran engagierten Energieunternehmen zudem starker öffentlicher Kritik ausgesetzt, allen voran die OMV.
Kurzfristig ist iranisches Gas sicherlich keine Option für Europa, langfristig könnte sich dies jedoch ändern. Zuvor wäre allerdings eine Reihe schwerwiegender Ziel- und Interessenkonflikte zu lösen, insbesondere der Atomstreit sowie das Verhältnis des Iran zu den USA, Israel und seinen unmittelbaren Nachbarn. Die neue US-Administration hat eine Änderung ihrer Iranpolitik bereits angekündigt. Wirkliche Bewegung ist jedoch frühestens nach den iranischen Präsidentschaftswahlen im Sommer zu erwarten.
Aus diesem Grund ist das Ergebnis des Budapester Gipfels absehbar: Nabucco wird zum wiederholten Male zum zentralen Baustein der europäischen Versorgungsstrategie erklärt, die Frage der notwendigen Gasmengen vertagt, und die realitätsferne Debatte um den "Südlichen Gas-Korridor" weiter künstlich am Leben gehalten. Gewinnbringender wäre jedoch die Frage, ob die Nabucco-Pipeline auch weiterhin die Top-Priorität der EU-Versorgungssicherheitspolitik bleiben sollte - gerade im Vergleich zum flexibleren Transport von verflüssigtem Erdgas per Schiff oder der dringend notwendigen Verknüpfung der innereuropäischen Gasmärkte, die aus Sicht der einzelnen Mitgliedstaaten deutliche Diversifizierungseffekte bringen würde.
Für die Erhöhung der europäischen Versorgungssicherheit wäre es zweckdienlich, wenn geopolitische Phantasien nicht den Blick auf energiewirtschaftliche Realitäten verstellen würden. Energieaußenpolitik sollte deshalb zukünftig seltener anhand von Landkarten, sondern häufiger mit Blick auf Investitionspläne und belastbare Lieferverträge geführt werden. (Oliver Geden, Andreas Goldthau, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.1.1.2009)