In fünf Jahrzehnten Neutralität hat sich Österreich in vielen westlichen Staaten den Ruf eines sicherheitspolitischen Trittbrettfahrers eingehandelt und ist diesen auch durch seine häufigen, aber meist ungefährlichen Blauhelmeinsätze nicht losgeworden. Umso wichtiger wäre es, dass die Bundesregierung in weltpolitischen Schlüsselmomenten ihren nationalen Egoismus hintanstellt und internationale Solidarität demonstriert.

Ein solcher Augenblick kam am Montag, als die EU-Außenminister über die Aufnahme von Häftlingen berieten, die noch in diesem Jahr aus dem US-Lager Guantánamo entlassen werden sollen. Manche von ihnen werden vor ein ordentliches US-Gericht gestellt, aber andere haben keine offensichtliche Schuld auf sich geladen und müssen nach den Prinzipien des Rechtsstaates freikommen.

Kein Land will diese Männer haben. Sie waren schon vor ihrer Gefangenschaft radikal antiwestlich eingestellt und sind heute kaum integrierbar. Natürlich ist dies ein "amerikanisches Problem" , wie EU-Chefdiplomat Javier Solana sagt, aber eines, bei dessen Lösung US-Präsident Barack Obama die Hilfe seiner Verbündeten braucht. Alle Ex-Häftlinge in den USA aufzunehmen wäre innenpolitischer Selbstmord.

Eine breit gestreute Aufteilung unter vielen Staaten ist die beste Lösung. EU-Politiker mit Verantwortungsbewusstsein wissen dies, weshalb sich etwa der deutsche Außenminister Frank-Werner Steinmeier trotz Widerstands seiner Koalitionspartner zur Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen bereit erklärt. Auch die Schweiz will die Sache zumindest prüfen.

Österreichs Außenminister Michael Spindelegger zieht sich hingegen mit formaljuristischen Argumenten aus der Affäre: Leider, leider können wir nichts tun, weil unser Rechtssystem es nicht erlaubt. Diese Aussage ist scheinheilig und falsch - "ungenau" würde seine ebenfalls bei einer peinlichen Fehlauskunft erwischte Parteifreundin Maria Fekter wohl sagen.

Die Guantánamo-Häftlinge passen in kein Justiz- und Einwanderungssystem der Welt hinein. Und natürlich kann die EU kein Mitgliedsland zur Aufnahme zwingen, daran hat auch niemand gedacht. Aber jede Regierung hat die Möglichkeit, in Sonderfällen wie diesen Ausnahmen zu machen - und in der österreichischen Rechtsordnung ist eine solche sogar "von Amts wegen" vorgesehen.

Außenpolitisch wäre es daher eine kluge Geste gewesen, sich kooperativ zu zeigen. Die Aufnahme von einem oder zwei geläuterten Islamisten in Österreich wäre deutlich einfacher als etwa die Entsendung zusätzlicher Soldaten nach Afghanistan, die Obama ebenfalls von den Europäern fordert.

Aber das Weiße Haus ist für die Regierung Faymann weit weg, und die Staatskanzleien der EU-Partner offenbar ebenso. Ihr ist das Hemd näher als der Rock - und das Hemd sind die Schlagzeilen des Boulevards und die Stimmung in den wahlkämpfenden Bundesländern Kärnten und Salzburg.

Das mag aus Sicht der Parteichefs gerade noch verständlich sein. Aber von einem Außenminister, der im Allgemeinen Rat der EUsitzt, würde man erwarten, dass er auch eine europäische Position einnimmt - Ursula Plassnik hätte das wohl getan. Spindelegger hingegen hat diese Seite seines Amtes offenbar noch nicht begriffen.

Wenn die Europäer die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen verweigern, dann wird die Hoffnung auf eine neue transatlantische Ära mit Obama wie eine Luftblase zerplatzen. In erster Linie sind die großen Staaten in dieser Frage gefragt. Aber damit die EU funktioniert, müssen auch die Kleinen mitmachen. Es wäre schäbig und dumm, wenn sich Österreich hier erneut als Trittbrettfahrer entpuppt. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2009)