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In einem Mitgliedsland, das dank einer angeschlagenen Regierung während seines seit 1. Jänner 2009 wahrgenommenen Vorsitzes über die EU historisch ohne Beispiel gleich vier Minister austauscht, darf Michael Kocáb als neuer Minister für Menschenrechte und Minderheiten zweifellos als buntester Hund des neuen tschechischen Kabinetts angesehen werden. Das Roma-Problem und oft auch offen ausbrechender Rassismus gegenüber Minderheiten stellen für Tschechien seit Jahren ein erhebliches, ja, auch Image-Problem nach außen dar.

Immerhin aber hat der heute 54-jährige Rockmusiker als ehemaliger "Systemfeind" mit seiner 1975 gegründeten Jazzrock-Band Prazky Vyber (deutsch: "Prager Auswahl" ) bewiesen, dass Haltung in der Kunst vor allem auch von Rückgrat kommt. Sein Naheverhältnis zu Václav Havel und den Gründervätern der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 im Umfeld der einst inhaftierten legendären Band The Plastic People Of The Universe war und ist unverbrüchlich.

Mag es uns auch heute während Besuchen in der mit internationalen Konzernen wie H&M und Raiffeisen reichlich gleichmacherisch zubetonierten Prager Innenstadt seltsam erscheinen: Der Mann besaß damals im Sommer 1989 im tschechoslowakischen TV die revolutionäre Kühnheit, einen Satz wie diesen zu sagen: "Jede Nation hat die Regierung, die sie verdient."

Rock'n'Roll, das wird gern vergessen, diente gerade im untergehenden Ostblock als Soundtrack nicht nur des politischen Widerstands gegen Panzerkommunismus und totalitäre Spießigkeit. Von der Obrigkeit kaum geduldet, konnte diese Kunstform des Ordinären, Eiligen und Atemlosen mitunter auch dafür sorgen, dass man sich hinter Gittern eines überlegen durfte: Warum stellten die Rolling Stones und die bis heute kultisch verehrten US-Musiker Lou Reed und Frank Zappa für die heute 50-jährige Jugend des Ostens ein unwiderstehliches Angebot dar?

1989 komponierte der zu Hause enorm populäre Michael Kocáb die Musik für die Amtseinführung seines Freundes Havel als Präsident der ÈSSR. Später wurde er Berater des heutigen tschechischen Außenministers Karl Schwarzenberg. Er wurde Abgeordneter des Parlaments und verantwortete die Abzugsverhandlungen mit den sowjetischen Truppen. Nach seinem Ausstieg aus der Politik 1991 versuchte er sich zuletzt 2008 erfolglos als Kandidat der Grünen für einen Sitz im Prager Senat. My, my, hey, hey, Rock'n'Roll is here to stay. (Christian Schachinger/DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2009)