Detlof von Winterfeldt lernte das IIASA als Postdoc in den Siebzigern in guten Zeiten kennen. Solche attestiert der neue Direktor dem Institut dank neuer Ausrichtung und neuer Mitglieder auch heute.

Foto: René van Bakel

STANDARD: Sie haben die letzten Jahre damit verbracht, für den US-Heimatschutz ein Institut für Terrorismusforschung in Los Angeles aufzubauen. Kehren Sie nach Europa zurück, weil Sie fürchten, dass Ihrem Baby unter Obama das Geld abgedreht wird?

Winterfeldt: Nein. Die Heimatschutzforschung war immer ziemlich klein und dürfte weiterlaufen wie gehabt, da sie unter den Heimatschutzinstitutionen immer die liberale Insel war.

STANDARD: Sie kennen das IIASA seit Ihrer Postdoczeit. Wie haben Sie das Institut in den Siebzigerjahren erlebt?

Winterfeldt: Der Direktor dieses damals neuen Instituts in Österreich, der Entscheidungstheoretiker Howard Raiffa, war einer meiner wissenschaftlichen Helden. Während meiner Doktorarbeit träumte ich davon, einmal mit ihm zu arbeiten. 1975 ergab sich die Gelegenheit.

STANDARD: Worüber forschten Sie damals?

Winterfeldt: Zum Beispiel, wie Umweltgrenzwerte gesetzt wurden. Dabei ging es schon darum, wie Forschung Entscheidungsprozesse unterstützen kann. Ich kam als blauäugiger Wissenschafter ans IIASA. Hier prallte ich auf die Realität. Es war der Anfang meiner angewandten Arbeit. Das IIASA hatte seine Aufs und Abs. Die erste Zeit, in der ich da war, gehörte zu den Hochphasen.

STANDARD: Was für Zeiten macht das IIASA derzeit durch?

Winterfeldt: Gute Zeiten. Mein Vorgänger Leen Hordijk hat es geschafft, IIASA wieder auf solide finanzielle Füße zu stellen. Er hat das externe Funding angekurbelt. Heute werben wir gut vierzig Prozent unseres Budgets von außen ein, etwa von der EU. Vor zehn Jahren waren es noch zehn Prozent. Und Hordijk hat sechs neue Mitgliedsländer gefunden: Südkorea, China, Indien, Pakistan, Südafrika und Ägypten. IIASA ist keine Ost-West-Achse mehr, sondern eine Nord-Süd-Achse. Dieser Wandel zu einer globalen Mission spiegelt sich mit den Mitgliedern auch in der Finanzierung.

STANDARD: Welche Länder haben Sie künftig im Visier?

Winterfeldt: Brasilien, denn wir sind in Südamerika nicht vertreten. Außerdem ist Brasilien das einzige der global wichtigen BRIC-Länder, das uns fehlt. Russland, Indien und China haben wir. Wir sind auch mit Ländern in Südasien im Gespräch. Dabei haben wir immer zwei Fragen: Hat das Land genügend Geld, um sich die Mitgliedschaft leisten zu können? Und hat es die akademische Infrastruktur, um uns zu unterstützen? Wir klopfen auch bei den Ländern wieder an, die wir in Europa verloren haben. Im November hatten wir Professor John Beddington hier, den Wissenschaftsberater der britischen Regierung. Auch Frankreich hätten wir gerne zurück.

STANDARD: Wohin wollen Sie mit dem IIASA inhaltlich?

Winterfeldt: Hier muss ich bremsen. Das IIASA hat einen Plan bis 2010. Wir stecken mitten in der Erarbeitung eines strategischen Plans ab 2011. Das ist bis Juni meine Hauptaufgabe. Ich habe darauf bestanden, dass wir nicht Business as usual machen, sondern meine drei oder vielleicht auch sechs Jahre als Direktor mit einer Strategieentwicklung beginnen. Mein erstes Schlüsselwort ist Fokussierung. Nicht zwanzig globale Probleme bearbeiten, sondern drei oder vier. Klimawandel und Energie sind gesetzt. Daneben haben wir ein oder zwei Optionen, und diese Auswahl wird sehr schwer. Mein zweites Schlüsselwort ist Politikentwicklung. Wir sollten unsere Forschung so gestalten, dass sie relevant für Entscheidungsträger wird. Das meiste, was IIASA bisher tut, ist politikrelevant. Aber wir können noch stärker in die Mitgliedsländer zurückwirken.

STANDARD: Wollen Sie IIASA zu einem Thinktank umpolen?

Winterfeldt: Für mich ist Thinktank ein positives Wort. Ich habe klare Vorstellungen davon. Ein Thinktank soll Probleme ernst nehmen, aus der Perspektive des Entscheidungsträgers verstehen und die Informationen mit allem Pro und Kontra so aufarbeiten, dass sie für den Entscheidungsprozess nützlich sind.

Ein Thinktank ist das IIASA heute schon. Was es künftig sind wird, soll ein Resultat der Strategiearbeit sein. Viele im IIASA machen nicht nur Wissenschaft, sondern sind auch gut darin, ihre Ergebnisse Entscheidungsträgern zu kommunizieren. Das ist meine Stärke: Ministern Fragen zu stellen und ihre Antworten in Fragen an die Forschung zu übersetzen. Es gibt Leute am IIASA, für die der Dialog mit der Politik eine neue Welt ist, denen werden wir helfen.

STANDARD: Planen Sie, Profipolitiker als mögliche Türöffner ans IIASA nach Laxenburg zu holen?

Winterfeldt: Ich sehe das nicht so. Der Level, auf dem relevante Politik gemacht wird, ist nicht der Level der Berufspolitiker, sondern das kommt von hohen Beamten in den Ministerien, die langfristig dort wirken und nicht mit der Regierung wechseln. Wir wollen ein wissenschaftliches Forschungsinstitut bleiben.

STANDARD: Sehen Sie für das IIASA eine größere Rolle in der Entwicklungspolitik?

Winterfeldt: Unser Interimsdirektor Sten Nilsson hat im Oktober UN-Generalsekretär Ban Ki-moon getroffen. Sie haben vereinbart, IIASA-Ergebnisse in UN-relevante Kontexte zu übersetzen - aber nicht als Serviceorganisation der UN, sondern als unabhängiges Forschungsinstitut, das auf globale Entscheidungsträger abzielt.

STANDARD: Wo sehen Sie das IIASA im Jahr 2020?

Winterfeldt: Als großes Forschungsinstitut mit starkem Politikbezug, an das sich unsere Mitgliedsländer und internationale Organisationen wenden, wenn sie mit globalen Problemen zu tun haben. (Stefan Löffler/DER STANDARD, Printausgabe, 28.01.2009)