"In unserem Selbstverständnis waren wir großartige Banker und stolz auf das sogenannte isländische Wirtschaftswunder. Die Öffentlichkeit fühlt sich jetzt einfach betrogen."

 

Zur Person: Einar Mar Thordarson ist Politikwissenschafter an der Universität von Island in Reykjavik.

Foto: Privat

Die Finanzkrise hat Island besonders hart getroffen. Durch eine Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) konnte Ende vergangenen Jahres ein Staatsbankrott gerade noch abgewendet werden. Die Lage bleibt dennoch ernst: Die isländische Wirtschaft könnte um mehr als zehn Prozent schrumpfen. Jetzt musste, nach massiven Protesten der Bevölkerung, die Regierung zurücktreten. Spätestens im Mai wird es Neuwahlen geben. Der Politikwissenschafter Einar Mar Thoradson von der Universität von Island in Reykjavik prognostiziert im Gespräch mit derStandard.at einen Sieg der Sozialdemokraten und der Grünen. Nach 18 Jahren konservativer Politik unter der Unabhängigkeitspartei würde das einen innenpolitischen Schwenk nach links bedeuten. Über einen EU-Beitritt würde dann wahrscheinlich die Bevölkerung entscheiden. Und, es bleibt fraglich, ob sie mit Ja stimmen wird.

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derStandard.at: Die Wirtschaftskrise ist ein weltweites Problem. Aber nirgendwo hat sie eine Regierung zu Fall gebracht. Warum in Island?

Einar Mar Thordarson: Kaum ein anders Land ist von der Wirtschaftskrise dermaßen betroffen. Wir hatten hier einen totalen Zusammenbruch. Unser Bankensystem war zu groß für ein kleines Land wie Island - es war zehnmal so groß wie unser BIP. Innerhalb weniger Monate sind wir von einem reichen, beinahe schuldenfreien Land zu einem der Länder mit den höchsten Schulden geworden. Natürlich sind die Leute zornig, und fragen sich wie das passieren konnte.

In unserem Selbstverständnis waren wir großartige Banker und stolz auf das sogenannte isländische Wirtschaftswunder. Die Öffentlichkeit fühlt sich jetzt einfach betrogen.

derStandard.at: Ist die Regierung wirklich verantwortlich für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung oder ist sie nur ein Sündenbock?

Thordarson: Natürlich sind die Menschen auch zornig auf die Personen, die das Bankensystem kontrollieren. Aber öffentliche Meinung ist auch, dass die Regierung früher hätte einschreiten müssen. Und ein Gesetz erlassen sollen, das es dem Bankensektor nicht erlaubt so überdimensioniert zu wachsen. Und jetzt sitzen wir auf einem riesigen Schuldenberg.

derStandard.at: Wie wirkt sich die Finanzkrise auf den Alltag aus?

Thordarson: Leute verlieren ihre Jobs und Firmen gehen bankrott. In den letzten Monaten des vergangenen Jahres waren die Menschen zornig und viele haben sich gefragt, was hier eigentlich passiert ist. Aber die Situation hat sich mittlerweile geändert. Jeder weiß, dass die kommenden fünf, zehn Jahre hart werden. Die Menschen werden wieder zuversichtlicher. Nach dem Motto: OK, es sind harte Zeiten, aber wir werden das Land da wieder raus holen. Die Isländer besinnen sich ihrer alten Werte und Fähigkeiten. Wir sind vielleicht keine sehr guten Banker, aber wir sind gute Fischer und wir haben viel Energiereserven.

derStandard.at: Würden nach den Neuwahlen im Frühjahr die Sozialdemokraten und die Grünen gemeinsam eine Regierung bilden, bedeutet das einen politischen Schwenk nach links. Was würde sich dadurch verändern?

Thordarson: Eine eher linke Regierung wird eher regulierend in die isländische Gesellschaft und Wirtschaft eingreifen. Die meisten Isländer halten das derzeit für eine gute Sache.

derStandard.at: Würde sich eine linke Regierung für oder gegen einen EU-Beitritt aussprechen?

Thordarson: Das ist eine schwierige Frage, denn die Sozialdemokraten befürworten einen Beitritt aber die Grünen sind dagegen. Die EU-Frage wird wohl auf eine Volksabstimmung hinauslaufen.

derStandard.at: Hat sich durch die Wirtschaftskrise die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der EU geändert?

Thordarson: Die Einstellung verändert sich gerade wieder: Im Dezember war noch eine Mehrheit für den EU-Beitritt, in einer Umfrage, die ich gestern gesehen habe, hat sich wieder eine Mehrheit gegen einen Beitritt ausgesprochen. Die Argumente gegen einen Beitritt sind einfacher zu präsentieren.

derStandard.at: Mit welchen Argumenten wird für einen EU-Beitritt und mit welchen dagegen argumentiert?

Thordarson: Ein starkes Argument der EU-Gegner ist die Fischereipolitik. Bei einem Beitritt würde die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich nach Brüssel wandern. Das Argument für einen Beitritt ist natürlich die gemeinsame Währung - der Euro.

derStandard.at: Wie lautet ihre Vorhersage? Werden die linken Parteien die nächste Regierung stellen?

Thordarson: Ja, sicher. Die Grünen und die Sozialdemokraten werden Stimmen dazu gewinnen. Die konservative Unabhängigkeitspartei wird verlieren, denn die Wähler machen sie für die aktuelle Krise verantwortlich. (mka, derStandard.at, 29.1.2009)