Lange verteidigten britische Politiker eine von der Europäischen Zentralbank unabhängige Bank of England sowie das Pfund Sterling mit allen Mitteln. In der Krise bröckelt die Anti-Euro-Front.

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Der Beitritt zum Euroraum war für die skeptischen Briten lange Zeit ein absolutes "no go". Doch die Wirtschaftskrise trifft die Insel und ihre früher so stolzen Banken hart. Ein Umdenken in Richtung Euro beginnt.

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London  - Die schwere Wirtschaftskrise sorgt auf der Insel für die Neubelebung einer vergessen geglaubten Diskussion: Großbritanniens Zugehörigkeit zum wichtigsten EU-Projekt. Zehn Jahre nach Einführung der Währung Euro auf dem Kontinent, sechs Jahre, nachdem die Regierung den eigenen Beitritt zur Währungsunion rundheraus abgelehnt hatte, erheben sich wieder ernsthafte Stimmen in London, die Großbritannien zur Mitgliedschaft überreden wollen.

"Wir brauchen einen Anker, weil wir schutzlos den internationalen Finanzmärkten ausgesetzt sind. Die Weltwährung vor unserer Haustür könnte Teil der Lösung sein", sagt Nick Clegg, Parteichef der zweitgrößten Oppositionspartei, der Liberaldemokraten, die Umfragen zufolge nach der kommenden Unterhauswahl das Zünglein an der Waage sein werden.

Wie skeptisch ausländische Geldgeber die einstmals übermächtige Londoner City derzeit beurteilen, geht aus jüngsten Zahlen der Bank of England hervor. In den vier Monaten bis November fielen die Kredite internationaler Banken für die großen Londoner Geldhäuser um 20 Prozent. Alarmierender ist der Abfluss ausländischen Kapitals aus dem wichtigsten Finanzdistrikt der Welt. Der Bank of New York Mellon zufolge zogen allein im September und Oktober vergangenen Jahres vermögende Ausländer rund 100 Milliarden Pfund aus Großbritannien ab. Die Summe entspricht rund drei Viertel des Kapitals, das in den vier Jahren zuvor ins Land geflossen war. Die öffentlichen Finanzen sehen erschreckend aus: Laut Institute of Fiscal Studies brauche Großbritannien 20 Milliarden Pfund extra bis zum Jahr 2015, um den Haushalt wieder auf das Vorkrisenlevel zu bringen.

"Island an der Themse"

Seine Heimat gleiche dem nördlichen Nachbarn im Atlantik (siehe Seite 2), glaubt der Ökonom und Bestseller-Autor Will Hutton ("The World We're In"): "Großbritannien ist Island an der Themse, da sieht die Mitgliedschaft im Euro plötzlich sehr attraktiv aus."

Der gleichen Meinung ist auch der Wirtschaftsprofessor Willem Buiter von der berühmten London School of Economics. Die britische Hauptstadt, spottet der Holländer, wirke auf ihn zunehmend "wie ein Vorort von Frankfurt", dem Sitz der Europäischen Zentralbank EZB.

Buiter hat die ökonomischen Eckdaten beiderseits des Kanals analysiert. Schlussfolgerung: Sie nähern sich bereits an - das war eines der Kriterien, die der damalige Schatzkanzler und heutige Premier Gordon Brown 1997 als Voraussetzung für Großbritanniens Beitritt zur europäischen Gemeinschaftswährung aufstellte. Die Stellung der City of London als weltweit wichtiges Finanzzentrum - ein weiteres Kriterium - ist weniger durch die Konkurrenz aus Frankfurt oder Zürich gefährdet als durch die Exzesse der Broker und Investmentbanker.

Was Politiker wie den Liberaldemokraten Clegg, aber auch altgediente Industrielle wie BP-Chairman Peter Sutherland erschreckt: Das jahrelang überbewertete Pfund befindet sich seit Monaten in einem schier unaufhaltsamen Abwärtstrend und verlor gegenüber den Leitwährungen Dollar und Euro bis zu 25 Prozent seines Wertes. Derzeit erhält man ein Pfund für 1,08 Euro. Das sei zwar vorübergehend hilfreich für britische Exporteure, sagt Sutherland, aber: "Die Währungsschwankungen stellen auf Dauer eine Schwierigkeit dar für den Handel mit unserem wichtigsten Markt."

Tatsächlich ist die Eurozone Großbritanniens wichtigster Handelspartner. 31 Prozent des Gesamtexports, sogar 51 Prozent aller produzierten Waren, sind für den europäischen Kontinent bestimmt, 48 Prozent der Importe kommen aus der Eurozone. (Sebastian Borger,  London , DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.1.1.2009)