"Durch die Rhythmisierung entsteht etwas, das sich in der Alltagssprache nicht sagen ließe." - Händl Klaus über die inwendige Musik beim Schreiben.

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Der aus Tirol stammende Dramatiker Händl Klaus, zuletzt für sein Spielfilmdebüt "März" ausgezeichnet, schrieb Prosaminiaturen, die Ruedi Häusermann jetzt als Musiktheater inszeniert. Uraufführung ist am Donnerstag im Burg-Kasino. Händl Klaus spielt mit, Margarete Affenzeller traf ihn.

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Standard: Prosa und Drama: Unterscheiden sich in Ihrem Fall die Schreibprozesse?

Händl Klaus: Beim Schreiben fürs Theater habe ich eine andere Raumvorstellung, die ganz konkret ist als imaginierter Theaterraum oder als Situation, von der ich mich dann wieder verabschiede. Ein Stück ist zwar nur eine Vorlage, aber die muss, zumindest für mich, in sich genau gearbeitet sein. Wenn in einem Stück alle Organe an ihrem Platz sind, wenn es neue Räume aufzuschließen vermag, dann gebe ich es aus der Hand, und jeder Regisseur hat alle Freiheiten.

Standard: Ruedi Häusermann nützt Ihre Prosatexte - erschienen einerseits im Band "(legenden)" sowie im aktuellen Stadtkino-Magazin - nun als Libretto. Titel des Abends ist "Die Glocken von Innsbruck läuten den Sonntag ein". Wie darf man sich das vorstellen?

Händl Klaus: Ruedis Musik, eine Partitur aus zwanzig Stücken für vier wohltemperierte Einhandklaviere, und die Prosa korrespondieren miteinander. Es entstehen Bilder, die wir zu siebt (vier Pianisten, zwei Schauspieler und ich) laufend miteinander bauen und wieder verwerfen. So entsteht eine Welt, die von dem handelt, was uns beschäftigt, und auch davon, wie man sich bemüht: Man geht freundlich miteinander um, man ist aufmerksam. Nach außen wird eine Flusslandschaft sichtbar, ein Dorf, eine Stadt - und immer ist es eine Lesesituation, eine kippende.

Standard: Was bedeutet Musik für Ihre Arbeit?

Händl Klaus: Sie ist sicher das Wichtigste. Musik: dieses kleine Wort und dieser gigantische Begriff! Du hast Musik ja überall, in Texten von Jelinek, Winkler oder Christoph Geiser, Cormac McCarthy, das ist alles Musik, auch Film ist Musik. Ich rhythmisiere Material im Schneideraum. Ich erzeuge Stockungen, Brüche, Inseln. Le Martyr de Saint Sébastien von Debussy, darauf kann ich mich verlassen, das rauscht schon regelrecht an mir vorüber und bringt mich in eine Art Fluss, den diese Musik erzeugt, und das genügt dann schon.

Standard: Ihre Prosatexte scheinen beim lauten Lesen Versmaße anzunehmen. Haben Sie ein musikalisches Kompositionsprinzip?

Händl Klaus: Ja, aber es ist kein klassisches Versmaß, sondern eine innere Musik, die ich dann wieder absichtlich breche. Es gibt in diesen Texten auch immer wieder Löcher, drei Punkte, die den Satz unterbrechen, und die mir helfen, ihn zu rhythmisieren. Wobei sie eigentlich dazu da sind, Satzteile oder Silben verschwinden zu lassen. Es sind kleine Falltüren. Eine Perforation.

Standard: Der Rhythmus ist hier bestimmend?

Händl Klaus: Es ist zuerst eine Crux. Aber es entstehen durch die Rhythmisierung auch Sachen, die sich in der Alltagssprache nicht sagen ließen. Sie bringt einen an Lösungen heran, oder sie ermöglicht Lösungen. Lösungen schweben mit. Ist das verständlich?

Standard: Sie meinen, die Auslassungen deuten etwas an, das erahnbar, aber nicht sicher greifbar ist?

Händl Klaus: Ja, es sind Phantomkörper. Ich möchte die Ränder deutlich kriegen, aber den Rest dann nicht anfüllen. Ich empfinde dadurch eine größere Freiheit. Ich möchte ja auch als Kinogeher oder Leser kein Rezept erhalten, sondern beim Schauen und Lesen mitarbeiten. Da gibt es wunderbare, geliebte Werke.

Standard: Welche denn?

Händl Klaus: Das geht von Carl Theodor Dreyer bis herauf zu Jessica Hausner. Oder Filme von Straub/Huillet. Da spielt sich's ab, das ist einfach Starkstrom!

Standard: Auch Ihr Film "März", der von der Trauer Hinterbliebener erzählt, ist voller Auslassungen.

Händl Klaus: Das ging gar nicht anders - da nehmen sich drei Freunde gemeinsam das Leben, und in der Folge handelt alles von diesem Verlust, diesem Fehlen, mit dem die anderen weiterleben müssen. Das wollte ich auch in der Erzählstruktur erhalten, um es spürbar zu haben. Darum wird manches angerissen und mitunter erst sehr viel später wieder aufgenommen, oder indirekt als Spiel mit wiederkehrenden Motiven. Das Erzählen über die Lücke ermöglicht vieles zwischen den Zeilen und den Bildern. Ich sehe das, was sich da verbergen könnte, als Geschenk. Ohne es benennen zu dürfen.

Standard: Die Brüche sind oft haarscharf. Es gibt keine Übergänge.

Händl Klaus: Schlagartig, wie im Leben - da bäckt man nichts als einen Kuchen, aber es löst eine katastrophale Erinnerung aus. Es gibt auch harmlose Spaziergänge. Aber es könnte ja umschlagen, das sollte man nicht unterschätzen.  (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.1.2009)