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Paris - Nicolas Sarkozy war der erste Staatschef, der im vergangenen Spätsommer wegen der Finanzkrise die Alarmglocke läutete. Während seiner EU-Ratspräsidentschaft wurde er wegen seines entschlossenen und energischen Handelns als Herr der Krisen gelobt. Nun ist ausgerechnet Sarkozy als erster westeuropäischer Staatschef wegen der Wirtschaftskrise massiv unter Druck geraten.

Millionen Angestellte aus dem Staatsdienst und der Privatwirtschaft beteiligten sich am Donnerstag am ersten Generalstreik seit Sarkozys Amtsantritt und legten das öffentliche Leben größtenteils lahm. Als "Tag der Wut" gegen Sarkozy interpretierte die linksgerichtete Zeitung "Libération" den Protest der Massen. Zumindest für einen Tag bildete sich eine geschlossene Front aller linken Oppositionsparteien und der acht wichtigsten Gewerkschaften im "Kampf für Beschäftigung und Kaufkraft".

300.000 in Marseille

300.000 Menschen gingen nach ihren Angaben allein in der Hafenstadt Marseille auf die Straße. In Paris waren es bereits am frühen Nachmittag viele Zehntausende, die sich am Bastille-Platz versammelten. Sie schwenkten Puppen, die Sarkozy als grüngesichtigen Sensenmann darstellten, und riefen US-Präsident Barack Obama gegen einen sozialen Kahlschlag ihres eigenen Präsidenten zu Hilfe.

Erstmals reicht der Zorn gegen Sarkozy weit in die bürgerliche Mittelsschicht hinein: "Er füttert die Banken mit Milliarden, und zugleich ruiniert er das Bildungswesen", sagte die 51-jährige Schulleiterin Emmanuelle Apparu beim Protestmarsch in Paris. Sie verweist auf die mehr als 10.000 Lehrerstellen, die gestrichen werden sollen. Aber auch Werksarbeiter von Renault und Peugeot und Supermarktkassiererinnen waren unter den Demonstranten. Sie sehen sich als Hauptleidtragende der Krise. Ihr Vorwurf: Anstatt den Konsum zu fördern und Jobs zu garantieren, greife der Staatschef nur den Banken und der Großindustrie wirklich unter die Arme.

Defizitverfahren droht

Viel Spielraum für Konjunkturprogramme hat Sarkozy nicht, schon jetzt droht Frankreich wegen der galoppierenden Neuverschuldung ein Defizitverfahren aus Brüssel. Doch anders als etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Sarkozy seinen Landsleuten lange das Blaue vom Himmel versprochen und sich noch vor wenigen Monaten lustig gemacht, wenn es einen Streik gäbe, "dann merkt keiner etwas".

Jetzt hat ihn die Krise eingeholt und droht ihn als aufgeblasenen Selbstvermarkter bloßzustellen. "Seine Bulimie von Verkündigungen und seine zerstörerischen Phrasen über unerledigte Reformen ersetzen nicht starke Maßnahmen und konkrete Resultate", kommentiert die Zeitung "La Montagne". Die Franzosen würden seinem "marxistischen Gefasel" über die Fehler des Kapitalismus nicht ein Wort glauben. "Libération" fügt hinzu, Frankreich brauche in der Krise "keinen brutalen Boss, der alle rasend macht, sondern einen politischen Führer, der die Bevölkerung beruhigt."

Auf eine mutmachende Ruckrede oder eine kohärente Wirtschaftspolitik wartet die Bevölkerung bisher vergeblich. Immerhin hat Sarkozy die Bedrohung erkannt und erklärt inzwischen, er nehme die Sorgen der Menschen ernst. Eine Afrika-Reise sagte er kurzfristig ab, um am Donnerstag im Élysée-Palast die Lage zu analysieren.

Ob es diesmal ausreicht, auf eine Verpuffung des Volkszorns zu setzten wie bei den Protesten gegen seine Pensionsreform vor anderthalb Jahren, ist fraglich. Ebenso offen ist indes, ob es der Opposition und den Gewerkschaften gelingt, den Staatschef mit konkreten Forderungen oder einem glaubwürdigen Gegenprojekt ernsthaft politisch in Bedrängnis zu bringen. Der allgemeine Ruf nach einem Stopp unbequemer Reformen und höheren Löhnen, der am Donnerstag auf den Demonstrationen ertönte, wird dafür nicht ausreichen. (Tobias Schmidt/AP)