Wir lesen und hören zu den wichtigen Themen Schlagzeilen und Kommentare. Aber wo erblicken die vielen kleinen Ärgernisse oder Freuden des Alltags das Licht der Öffentlichkeit? Also fragte man sich vor einiger Zeit im "Kurier" und beschloss - ohne lange zu hinterfragen, ob die vielen kleinen Ärgernisse oder Freuden des Alltags unbedingt das Licht der Öffentlichkeit erblicken müssen -, eine Seite mit dem Titel G'schichterln einzurichten, auf der zwei bewährte Redakteure kuriose, ärgerliche, seltsame und schöne Erlebnisse so weit druckreif machen, dass sie Dank der Aufmerksamkeit unserer Leserschaft jeden zweiten Mittwoch auf dieser Seite das Licht der Öffentlichkeit erblicken.
Gewissermaßen als Ausgleich gegen das Übermaß dort gebotener Alltäglichkeit erblicken am Fuß dieser Seite auch die Nuntii latini des Blattes das Licht einer möglicherweise etwas eingeschränkten Öffentlichkeit. Dort wurde diesen Mittwoch der Begriff merces adhuc angusta mit eine bisher unbekannte Marktnische erklärt - in Zeiten der Wirtschaftskrise eine Orientierungshilfe, die das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen braucht.
Die Marktnische, um die es am 22. Oktober vorigen Jahres ging, war Zahnmedizin mit Gefühl. Leserin Barbara R. wurde mehrmals auf den Weisheitszahn gefühlt. Einmal kollabierte sie nach einer Extraktion mit vielen Spritzen. Seitdem sitzt sie nicht alleine auf dem Zahnarztstuhl - die Angst im Nacken sitzt mit. Als es vor Kurzem dem letzten Weisheitszahn an die Wurzel gehen sollte, machte sich R. auf die Suche nach einem einfühlsamen Mediziner. Dr. Dr. Wojtek, Zahnarzt aus Perchtoldsdorf, der auf seiner Homepage mit den Worten "ängstliche Patienten liegen uns am Herzen" und "wohl fühlen" wirbt, schien ihr der Richtige zu sein. Als der Tag der Weisheit kam, ging alles ganz rasch. "Mund auf, jetzt kommt die Spritze", meinte der Zahnarzt mit bohrendem Blick, ohne ein Wort über den Eingriff zu verlieren. Als Frau R., völlig überrumpelt, den Mund nicht aufmachen wollte, sagte er: "So eine Spritze habe ich gerade einem kleinen Kind gegeben." Gut möglich. Bei Frau R. klappte das nicht. Sie hat das Weite gesucht, gemeinsam mit ihrem Zahn.
Ob ein G'schichterl dieser Art wirklich das Licht der Öffentlichkeit erblicken muss, sei dahingestellt, aber es wirft, wie auch alle anderen auf dieser Seite gebotenen G'schichterln eine Vertrauensfrage auf. Und wir reden hier nicht vom Vertrauen einer Patientin in die Einfühlsamkeit eines Zahnarztes, sondern von Höherem. Dass die Leserinnen und Leser dem Journalisten vertrauen sollten, versteht sich von selbst. Aber gilt das auch umgekehrt? Kann der Journalist der Leserin, dem Leser trauen? Eine mögliche Antwort darauf könnte die Gegendarstellung geben, die, begehrt von DDr. Robert Wojtek, Dienstag dieser Woche, also drei Monate später, im "Kurier" erschien.
Der wollte sich nicht einmal in G'schichterl-Form als DDr. Eisenbart dargestellt sehen. In der Ausgabe vom 22. 10. 2008 wurde auf Seite 16 unter dem Titel "Merkwürdig. Ein bissiger Zahnarzt mit bohrendem Blick" ein Leserbrief einer Barbara R. zitiert, in dem behauptet wurde, DDr. Robert Wojtek, Zahnarzt in - nicht aus! - Perchtoldsdorf, habe ihr mit bohrendem Blick und den Worten "Mund auf, jetzt kommt die Spritze" völlig überrumpelnd die Entfernung eines Weisheitszahnes angekündigt, ohne ein Wort über den Eingriff zu verlieren.
Diese Behauptung ist unrichtig. Herr DDr. Robert Wojtek klärte vielmehr Frau Barbara R. sehr wohl über den vorgesehenen Eingriff auf. Er riet ihr am 22. 9. 2008, einen Weisheitszahn entfernen zu lassen, und klärte sie über den Vorgang auf. Barbara R. legte ihm dar, sich die Entfernung des Zahns noch überlegen zu wollen, teilte dann aber telefonisch ihren Entschluss für die Durchführung dieses Eingriffs mit und vereinbarte dafür einen Behandlungstermin in seiner Ordination am 14. 10. 2008, zu dem sie auch erschien, sich aber nicht behandeln ließ.
Schade, dass diese Gegendarstellung nicht unter den G'schichterln erschienen ist, ist sie doch mindestens so kurios. Aber was ist nun Wahrheit? Und was soll der "Kurier"-Leser von seinesgleichen und deren Fabulierlust halten? Leserin Anna Maria K. ist ein Dreckschwein, zumindest, wenn es nach der Hausbesorgerin ihrer Stiege geht. Die putzt nämlich nicht g'scheit, konnte man diese Woche unter dem Titel Grindig - Die Allmacht der Hausbesorgerin lesen. Müssen "Kurier"-Fans nun wieder drei Monate bangend einer hausmeisterlichen Gegendarstellung harren, dass Leserin Anna Maria K. kein Dreckschwein ist? (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 31.1/1.2.2009)