"Wirkliche Verbesserungen sind nur durch eine Demokratisierung der Stadtplanung möglich": Die Metropole Teheran leidet an einer Fülle von urbanistischen Missständen.

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Auch autoritäre Regime haben auf die Metropolen in Schwellenländern kaum mehr Einfluss. Mit ihrer unberechenbaren Dynamik entziehen sich die Megacitys mehr und mehr der Polit-Kontrolle: Teheran nach 30 Jahren Islamischer Revolution. Von Reinhard Seiß

Als Ajatollah Ruhollah Musavi Khomeini am 1. Februar 1979 aus dem Pariser Exil als Revolutionsführer in einem wahren Triumphzug nach Teheran zurückkehrte, zählte die iranische Hauptstadt mit 5 Millionen Einwohnern bereits zu den größten Metropolen der Welt.

Innerhalb der Stadtgrenzen blieb das Bevölkerungswachstum – heute sind es 7,5 Millionen Einwohner – relativ überschaubar. Faktisch jedoch erstreckt sich Teheran mit geschätzten 14 Millionen Einwohnern inzwischen bis an die Grenzen der gleichnamigen Provinz. Mit Ausbruch des Ersten Golfkriegs 1980 setzte eine bis heute währende Landflucht ein, der Politik und Wirtschaft kein auch nur annähernd adäquates Wohnbauprogramm gegenüberzustellen vermochten. Die Wohnungsknappheit in Teheran führte alsbald zu einem enormen Anstieg der Miet- und Immobilienpreise, sodass sich die meisten Zuwanderer im günstigeren Stadtumland ansiedelten, ohne dass es dort zu einer Nachrüstung mit Infrastruktur, sozialen Einrichtungen oder auch Arbeitsstätten gekommen wäre.

Wie viele Menschen täglich in die Kernstadt strömen, weiß niemand. Hunderttausende kommen allein aus dem 30 Kilometer entfernten Karadsh – noch vor 20 Jahren eine Kleinstadt, heute ein Siedlungsbrei mit 3 Millionen Einwohnern, der als "größte Schlafstadt der Welt" gilt. Gewiss ist, dass die meisten Einpendler mit Autos oder Bussen ins Zentrum fahren. Im Unterschied zur demografischen Entwicklung ist die Zunahme der Motorisierung in Teheran exakt dokumentiert: Rund 230.000 zusätzliche Pkws pro Jahr verschärfen die Situation in der von vier Millionen Autos und ebenso vielen Motorrädern schon verkehrsüberlasteten Stadt noch weiter. Dabei ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der islamischen Republik ein durch und durch mo-dernes Gebilde, das nicht von verwinkelten Altstadtgassen, sondern einem großzügigen Straßenraster durchzogen ist. Trotzdem sind selbst am späten Abend noch fünfspurige Straßen heillos verstopft.

Die Automassen verdrängen jegliches Leben aus dem öffentlichen Raum: Vielerorts bilden hohe Fußgängerbrücken die einzige Möglichkeit für Passanten, die Fahrbahn sicher zu überqueren – allerdings nicht für Alte, Behinderte oder Mütter mit Kleinkindern. Und Radfahren, ja selbst Motorradfahren wird hier zum Vabanquespiel. "Der Verkehr hat totale Formen angenommen", schildert die Architektur- und Stadtplanungspublizistin Soheila Beski die Entwicklung. "Die vielen Autos haben Teheran so groß und gleichzeitig aber auch so klein gemacht, dass man an einem Tag nirgendwo anders mehr hinfahren kann als von zu Hause zur Arbeit und wieder zurück." Damit bringt der Autoverkehr die Stadt um das, was sie eigentlich attraktiv macht – um ihr vielfältiges Angebot, um die kurzfristige Erreichbarkeit aller erdenklichen Ziele.

Noch schwerer wiegen die Folgen für Umwelt und Gesundheit. Die vorherrschende Wetterlage seit Jahren ist der Smog. Der erste morgendliche Blick vieler Bürger gilt den mehr als 5000 Meter hohen Gipfeln des Alborsgebirges, über dessen Abhänge sich die iranische Hauptstadt erstreckt. Doch in den südlichen, auf 1100 Meter Seehöhe liegenden Stadtteilen nimmt man die schneebedeckten Bergspitzen meist nur schemenhaft wahr. Ist die nahe Gebirgskette aber auch in den nördlichen, reicheren Wohnvierteln auf bis zu 1800 Höhenmeter kaum sichtbar, empfiehlt es sich, zumindest die Kinder im Haus zu lassen. Selbst von offizieller Seite ist von jährlich 10.000 Todesfällen infolge der Luftverschmutzung die Rede.

Die Gegenmaßnahmen der Stadtregierung beschränken sich auf eine Prämie für jene, die ihr altes Auto durch ein neues ersetzen. Dass die zahllosen Rußschleudern Marke Paykan (ein Modell aus den 60er-Jahren!) oder Peugeot 405 deshalb von den Straßen verschwinden, ist Illusion. Bei subventionierten Spritpreisen von 8 Cent je Liter ist ein fahrbarer Untersatz auch für weniger begüterte Teheraner erschwinglich – ja für Zigtausende, die als illegale Taxifahrer ihr Geld verdienen, sogar lebenswichtig.

Ihre Dienstleistung kompensiert das unzureichende Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln in Teheran. Omnibusse stecken noch länger im Stau als private Fahrzeuge, da sie nicht spontan auf weniger überfüllte Routen ausweichen können. Das Metro-Netz der Megacity wiederum beschränkt sich auf zwei kürzlich fertiggestellte und zwei noch in Bau befindliche Linien – sowie auf die Regionalbahn nach Karadsh. "Eine seriöse Verkehrspolitik für den Großraum Teheran gibt es ebenso wenig wie eine brauchbare Siedlungspolitik für die Agglomeration", urteilt Firuz Tofigh, vor der Machtübernahme Khomeinis 1979 Minister für Stadtentwicklung. Seit 2002 leitet er das neugegründete Center of Planning and Studies, das für die Stadt Teheran Daten und Modelle zum Aufbau einer strategischen Stadtentwicklungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik erarbeiten soll. "Eine solche Einrichtung bestand schon vor der Revolution, als die Planungsbehörde noch sachlicher arbeiten konnte. Seit 1979 wird die Stadtentwicklung aber von der Politik dominiert – und von deren Ad-hoc-Lösungen, die an den realen Problemen der Stadt vorbeigehen."

Die langfristig größte Gefahr sieht der Planer im Bodenverbrauch durch das rasante Wachstum der Agglomeration. "Nur 15 bis 20 Prozent des Staatsgebiets sind überhaupt fruchtbar – insbesondere das Umland der gewachsenen Zentren, die natürlich dort entstanden sind, wo es ausreichend Ackerland gab", erklärt Tofigh. "Damit frisst die Ausdehnung unserer Stadtregionen die kostbarsten Böden auf." Teheran und Karadsh sind beinahe schon zusammengewachsen. Gemeinsame Planungen gestalten sich deshalb aber nicht leichter, zumal die iranische Hauptstadt keinerlei Einfluss auf die umgebenden Städ-te und Provinzen hat. Dennoch arbeitete die Teheraner Stadtplanung jüngst erstmals einen umfassenden Agglomerationsplan aus, der auch den Bau von fünf New Towns für jeweils 500.000 Menschen im Umkreis der Metropole beinhaltet.

"Ändern wird auch dieser Plan nichts an den Problemen Teherans", bleibt Jahanshah Pakzad, Professor für Stadtgestaltung an der Shahid-Beheshti-Universität Teheran skeptisch. Wirkliche Verbesserungen sind für den Planer, der sein Studium in Hannover absolvierte, nur durch eine Demokratisierung der Stadtplanung möglich: "Vor einigen Jahren wurde den Stadtbezirken bis hinunter zu den einzelnen Neighbourhoods mehr Selbstbestimmung eingeräumt – allerdings nur auf dem Papier. Denn die direkten Wahlen der lokalen Ratsversammlungen fanden bis heute nicht statt." Der Sieg der Konservativen bei den Kommunalwahlen 2003, die den heutigen Staatspräsidenten Ahmadi-Nejad zum Bürgermeister machten, ließ auch in der Stadtentwicklung jene Aufbruchstimmung, die unter Expräsident Khatami anfänglich herrschte, abklingen – und die urbanistischen Missstände weiter bestehen.

"Das grundlegende Übel ist der Ausverkauf Teherans an Investoren und Spekulanten, der 1987 unter Bürgermeister Karbastshi begann und bis heute andauert", kritisiert Jahanshah Pakzad. "Dadurch verliert die Stadt mehr und mehr an Charakter." In Karbastshis Amtszeit fielen unter anderem der Bau monströser Stadtautobahnen, dem etwa ein ganzer Bezirk südlich des Basars geopfert wurde, sowie der Bau zahlreicher, oft spekulativ errichteter Hochhäuser, die in völligem Wildwuchs traditionelle Strukturen zerstörten. "Wenn die Pläne für ein Gebiet eine Überbauung von maximal 100 Prozent vorsahen, ein Projektwerber aber eine Dichte von 400 Prozent wollte, erhielt er gegen eine entsprechende Abgeltung flugs die gewünschte Genehmigung", illustriert Professor Pakzad Stadtplanung à la Teheran.

"Andererseits", relativiert der aus Teheran stammende und heute in Wien lebende Architekt Nariman Mansouri, "sorgte Karbastshi für die Errichtung von Kulturzentren und öffentlichen Parks, wodurch auch ärmere Bezirke aufgewertet wurden." Kennzeichnend sei in jedem Fall seine "pragmatische" Vorgehensweise gewesen, oft informell und an den Mühlen der Bürokratie vorbei. Dies erlaubte ihm, die im Iran übliche Vorlaufzeit von Großprojekten von durchschnittlich 14 Jahren merklich zu verkürzen, brachte aber schließlich den allmächtigen Staatsapparat gegen ihn auf: 1998 wurde der eigenwillige Kommunalpolitiker wegen "Missbrauchs öffentlicher Mittel" und "schlechter Amtsführung" zu fünf Jahren Haft, 60 Peitschenhieben sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt – und mit einem zwanzigjährigen Betätigungsverbot in öffentlichen Ämtern bestraft. (DER STANDARD, ALBUM, 31.1./1.2.2009)