Die amerikanische Suchtforscherin Nora Volkow

Foto: Robert Newald

STANDARD: Warum werden Drogenabhängige für ihre Sucht stigmatisiert? Sind sie dafür verantwortlich?

Volkow: Das ist eine schwierige Frage. Wie verantwortlich ist jemand in seinem Verhalten, der diabetesgefährdet ist? Jedenfalls werden in unserer Gesellschaft Abhängige stigmatisiert, weil es in der Gesellschaft die Überzeugung gibt, dass jemand eine Wahl hat, zum Beispiel Trinker zu werden. Es steckt aber eine sehr starke genetische Komponente dahinter - mindestens zu 50 Prozent.

STANDARD: Es gibt Forschungen über Impfungen gegen Kokain. Kann das funktionieren?

Volkow: Es gibt auch Untersuchungen zu Impfstoffen gegen Nikotin, Heroin und Metaphetamin. Der Gedanke dahinter ist folgender: Wenn Leute zur Therapie gehen, gibt es eine sehr hohe Rückfallsrate von 70 Prozent. Wenn sie in ihr Umfeld zurückkommen, stresst sie das, sie fühlen sich dann Drogen sehr zugeneigt. Was wäre aber, wenn es eine Impfung gäbe dagegen, dass die Droge nicht ihre Wirkung entfaltet? Dadurch würde ein Rückfall keinen Sinn machen.

STANDARD: Welche Rolle spielt das Alter?

Volkow: Es ist sehr wichtig. Das meiste Experimentieren mit Drogen passiert zwischen 14 und 18 Jahren - beim Rauchen oft noch früher. Das Suchtrisiko ist im Alter von 18 bis Anfang 20 Jahre besonders hoch. Wenn man also 25 Jahre alt und nicht abhängig ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man es noch wird, sehr viel geringer. Das liegt daran, dass das Gehirn noch sehr formbar ist. Je jünger man beginnt, Drogen zu nehmen, desto eher ist man für Sucht angreifbar. Wenn Menschen älter werden, werden außerdem die Rauscheffekte geringer, die negativen Nebeneffekte von Substanzen gleichzeitig gefährlicher.

STANDARD: Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Volkow: Unter den Jugendlichen sind mehr Mädchen süchtig als Burschen. Ab dem Alter von etwa 17 dreht es sich um. Aber die Frage, die bisher niemand beantworten konnte, ist: Spüren Männer und Frauen die Effekte unterschiedlich? Wir wissen allerdings, dass bei Frauen während des Menstruationszyklus die Sensibilität für Drogen variiert. Sie spüren die Effekte von Substanzen während der späten Phase des Men-struationszyklus stärker als am Beginn. Frauen, die aufhören wollen, sollten also am Ende ihres Zyklus damit beginnen.

STANDARD: Oft heißt es, Rauchen und Marihuana sind Einstiegsdrogen. Ist das so, weil der Mensch genetisch suchtgefährdet ist?

Volkow: Das lässt sich schwer sagen. Ein Kind könnte beispielsweise eine nicht diagnostizierte Depression haben, es fühlt sich schlecht und sucht nach Auswegen, probiert Drogen. Was bekommt es am einfachsten? Zigaretten. Die andere Möglichkeit ist, dass du in dem Umfeld bist, wo andere um dich herum immer Drogen genommen haben. Da stellt sich die Frage, was das für Auswirkungen hat, wenn man so jung Marihuana oder Nikotin ausgesetzt ist. In Tierversuchen hat sich gezeigt, dass dann Belohnungen weniger stark empfunden werden können. Das könnte einen dazu bringen, später härtere Substanzen zu nehmen.

STANDARD: Was bewirken Rauchverbote?

Volkow: Gesetze ändern vieles. Als in New York City Rauchen in Bars verboten wurde, hieß es, niemand würde mehr in Bars gehen - aber das war nicht der Fall. Je mehr eine Droge um einen herum ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Drogen nimmt. Wenn man aber einmal süchtig ist, kann man Rauchen in einer Bar verbieten, und die Person, die abhängig ist, wird hinausgehen, auch wenn es schneit, um zu rauchen. Die sozialen Eingriffe werden vor allem einen Effekt auf jene haben, die noch nicht süchtig sind. (Gudrun Springer/DER STANDARD-Printausgabe, 3.2.2009)