Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Wäre die alte Frau da nicht am oberen Ende des Abganges zur U4-Station Stadtpark gestanden und hätte an der Wand herumgefizzelt, wären wir wohl auch nicht stehen geblieben

Foto: Rottenberg

Es war am Montagabend. Da sah ich die Frau zum zweiten Mal - und vermutlich jagte ich ihr einen ordentlichen Schreck ein. Dafür, meint B. solle ich mich im Übrigen auf diesem Weg entschuldigen. Auch in seinem Namen. Aber gern.

Schließlich dürfte es für eine ältere Frau schon bei Tageslicht nicht angenehm sein, von hinten angesprochen zu werden. Und wenn sich dann einem komplett in schwarz gekleideten Mann gegenüber finden, von dessen Gesicht eine Sturmhaube gerade einmal die Augen freilässt und dessen Begleiter auch nicht viel vertrauenerweckender maskiert ist, ist das wohl auch nicht so angenehm.

Jogger

Denn gegen 22 Uhr, in einer eisregnerischen Nacht, rechnet man als Pensionistin ja auch nicht unbedingt damit, von zwei Joggern angesprochen zu werden. Erst recht nicht, wenn man gerade dabei ist, die Wand einer U-Bahnstation zu putzen.

Bloß: wäre die alte Frau da nicht am oberen Ende des Abganges zur U4-Station Stadtpark gestanden und hätte an der Wand herumgefizzelt, wären wir wohl auch nicht stehen geblieben: Ich hätte sie nicht angesprochen - und B. hätte kein verwackeltes Handypic gemacht. Weil - und da kann ich ihm nicht widersprechen - "uns das ohne Bild wieder mal keiner glaubt. Schließlich habe ich es dir beim ersten Mal ja auch nicht abgenommen."

Stuckatur

Die alte Frau putzt nämlich wirklich die Wand. Genauer gesagt: Sie kletzelt den Dreck aus den kleinen Stuckverzierungen, die in Otto-Wagner-Stationen am obersten Treppenabsatz ziemlich genau in der Mitte in die Wand eingelassen sind. Obwohl: Ob es diesen Stuck in anderen Stationen auch gibt, weiß ich nicht. Denn bis ich die Alte hier vor ein paar Wochen hier das erste Mal pizzeln sah, war mir das kleine Verzierungsrechteck nie aufgefallen - obwohl ich doch acht Jahre lang am Schulweg fast jeden Tag hier vorbeigekommen war.

Und ob die alte Frau auch anderswo Verzierungen säubert (so es diese überhaupt gibt), weiß ich nicht: Die beiden Male, die ich sie sah, stand sie nämlich hier. Und fummelte mit einem kleinen Stück Karton in den Kerben und Aushöhlungen des Stuckrechteckes herum. Ob sie sich anderswo auch für den Wandputz zuständig fühlt, habe weiß ich also nicht.

Blinkend

Beim ersten Treffen hatte ich es eilig: Unten fuhr gerade der Zug ein. Und als wir Montagnacht unsere Laufrunde hier beendeten und nass, dampfend und maskiert - B. mit einer Autobahnwarnweste, ich mit einem blinkenden Reflektorband um eine Wade "gesichert" - zur U-Bahn wollten, dürften wir sie doch einigermaßen erschreckt haben. Jedenfalls wirkte sie ein wenig - sagen wir einmal - "unruhig", als wir sie ansprachen.

Was sie denn da tue, fragte ich. Und sie schnappte nur kurz zurück: "Na die Wand putzen, oder wonach schaut das aus?" Und auf die Frage nach dem Warum kam nur: "Weil da der Dreck im Stuck pickt - und sich ja sonst keiner mehr um so was schert." Dann drehte sie uns wieder den Rücken zu, stocherte weiter mit dem Papier in dem kleinen Dekorstück herum - und raunzte mehr zu sich selbst als zu uns: "So eine blöde Frage. Sieht ja ein Blinder. Aber Hauptsache, mich bei der Arbeit stören." (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 5. Februar 2009)