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Die Schilddrüse steuert viele Systeme im Körper

Foto: REUTERS/Toru Hanai

Die deutsche Ärztin Leveke Brakebusch im Gespräch mit Jutta Berger

Standard: In Ihrem ersten Ratgeber "Leben mit Morbus Basedow" schreiben Sie von einer "Odyssee von Arzt zu Arzt", die Sie bis zur Diagnose durchmachen mussten. Hat sich seit 1999 etwas geändert?

Brakebusch: Die Situation ist immer noch schlecht. Nicht nur in Deutschland. Wir bekommen Zuschriften aus Österreich, der Schweiz, sogar aus Amerika - der Weg zur Diagnose, zu guter medizinischer Betreuung ist überall schwierig.

Standard: Worauf führen Sie das zurück?

Brakebusch: Über autoimmune Schilddrüsenkrankheiten steht wenig in den Lehrbüchern. Sie werden meistens in zwei, drei Sätzen abgehandelt. Damit wird man den Krankheiten nicht gerecht. Denn 13 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben eine Autoimmunerkrankung vom Typ Hashimoto, vier Prozent eine vom Typ Basedow. Hashimoto ist damit häufiger als Diabetes Typ 1. Dennoch kennen viele meiner Kollegen die Krankheit nicht.

Standard: Hashimoto kann ja auch leicht für Burnout oder Wechselbeschwerden gehalten werden.

Brakebusch: Das Schwierige ist, dass man nicht ein paar Symptome hat, sondern 30 bis 40 und die Krankheit sehr variabel ist. Da kommt auch ein wohlmeinender Arzt schnell auf die Idee, dass die Psyche der Verursacher ist. Ist sie aber nicht. Die Psyche ist mit betroffen von der Krankheit. Die Schilddrüse steuert den ganzen Körper: Magen, Darm, Haut und Haar, Gedächtnis und auch die Psyche. Arbeitet die Schilddrüse nicht richtig, ist alles gestört.

Standard: Sollten praktische Ärzte öfter an die Schilddrüse denken?

Brakebusch: Das wäre sinnvoll und würde auch Kosten sparen. Ich muss aber meine Kollegen in Schutz nehmen, ich hab ja auch, bevor ich nicht selber an Morbus Basedow erkrankt war, ganz wenig darüber gewusst.

Standard: Man könnte meinen, die Diagnose sei ganz einfach: Schilddrüsenwerte bestimmen, Blut auf Antikörper testen?

Brakebusch: Es ist eine Puzzleteil-Diagnose. Es können viele Teilchen da sein, oder auch nur eines. Die Laborwerte TSH, fT3 und fT4 können täuschen, sie können normal sein, man fühlt sich aber trotzdem schlecht. Bei 20 Prozent der Patientinnen und Patienten findet man auch keine Antikörper. Im Ultraschall erkennt man Hashimoto erst, wenn die Schilddrüse schon angegriffen ist. Deshalb ist am wichtigsten, sich die Symptomatik genau anzuschauen.

Standard: Über die Grenzziehung beim TSH-Wert wird international diskutiert.

Brakebusch: Wir haben sogar innerhalb von Deutschland unterschiedliche Werte. Die meisten setzen sie bei 0,4 bis 4 mU/l an. Aus Amerika kommt aber die Erkenntnis, dass schon bei Werten ab 2,5 viele Menschen eine Unterfunktion haben. Bei Symptomen und TSH von 2 mU/l würde ich in Richtung Autoimmunerkrankung untersuchen.

Standard: Treten die Erkrankungen familiär gehäuft auf?

Brakebusch: Ja. Es gibt aber keine Studien dazu. Aus meiner Erfahrung würde ich sagen, die Wahrscheinlichkeit liegt bei 80 Prozent. Hat eine Frau Morbus Basedow, kann das Kind Hashimoto bekommen, bei Hashimoto der Mutter vererbt sich meist die Hashimoto Thyreoiditis und nur sehr selten erkrankt das Kind an einem Morbus Basedow. Zehn Prozent der Babys haben bei der Geburt laut einer Studie Schilddrüsenantikörper, die von der Mutter übertragen wurden. Auch hinter Hyperaktivität kann bei Kindern eine autoim-mune Schilddrüsenkrankheit stecken. Man sollte nicht nur ihren TSH-Wert anschauen und Ultraschallbilder, sondern auch die Eltern auf autoimmune Schilddrüsenkrankheiten untersuchen.

Standard: Was weiß man über die Ursachen?

Brakebusch: Insgesamt noch sehr wenig. Genetische Faktoren spielen eine Rolle, auch die Umweltbelastung, die zusätzliche Jodierung der Lebensmittel kann auslösend sein - oder Viren und Bakterien, auch hormonelle Veränderungen bei Frauen: Geburt, Fehlgeburt, Absetzen der Pille, Beginn der Wechseljahre. Morbus Basedow tritt oft nach dem Tod eines nahen Angehörigen auf. Ich beobachte auch, dass viele Paare Hashimoto haben, eine Erklärung dafür habe ich noch nicht gefunden.

Standard: Was soll sich aus Ihrer Sicht als Ärztin und Betroffene ändern?

Brakebusch: Die Krankheit muss mehr ins Bewusstsein rücken. Meine Kollegen sollten die Patienten wirklich ernst nehmen, genau hinhören. Sie sollten sich nicht von der Menge der Symptome einschüchtern lassen und vorschnell Psychopharmaka verschreiben. (DER STANDARD, Printausgabe, 09.02.2009)