Ein "Heimatfilm" von Peter Kern denkt die Beziehungskrise zwischen Schüssel und Haider weiter.
Wien – Auch eine Zukunft, möglicherweise: Europa, aufgeteilt von den Amerikanern. Vom Euro keine Rede mehr: Man zahlt in Dollars. In der Dinosaurier-Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien praktizieren ein paar widerständische Intellektuelle immer noch Dialektpflege; Dichter wie Peter Turrini, Robert Schindel oder Marlene Streeruwitz kann man des morgens wie scheue Rehe über Waldlichtungen schreiten und Texte memorieren sehen; und: Ein junger deutscher Journalist (August Diehl, zuletzt Burg-Jungstar in Bondys Möwe) macht sich auf die Suche nach Jörg Haider.
Haider lebt – 1. April 2021, ein "Heimatfilm", wie ihn Regisseur Peter Kern nennt, ist eine Produktion, die hierzulande eigentlich nie entstehen könnte: ein trashiges Low-Budget-Werk voll wüster Verunglimpfungen von Links und Rechts, das naturgemäß keine Förderungsstelle auch nur irgendwie angerührt hat. Gleichzeitig ein Werk mit veritablen Stars, die einmal nicht in gepflegten Wortspenden für News und Co. Besorgnis artikulieren, sondern ziemlich unbesorgt in die Vollen gehen.
Neben Diehl agieren Paulus Manker (der in einer schulmeisterlichen Sequenz Wiener Häuslschmäh zu einer an Ernst Jandl gemahnenden Harmonie hochstilisiert), Hilde Sochor (mit der man der Sozialdemokratie quasi bei den letzten Zügen zusehen kann) oder: Günter Tolar, einst Moderator von ORF-Quizsendungen wie Wer dreimal lügt, verkörpert nun Wolfgang Schüssel, und der steckt irgendwo in den österreichischen Wäldern sein letztes Machtterritorium ab: auf Kosten von Jörg Haider.
Nun ist Haider lebt zwar sehr schnell gedreht und fertig gestellt worden. Als Peter Kern jedoch heuer im Frühjahr als Nebendarsteller in Peter Zadeks Burg-Inszenierung des Juden von Malta seine Kollegen für diesen Coup begeisterte, da konnte er freilich noch nicht wissen, dass ihm die hohe Politik derart schnell folgen würde. Nicht nur, indem FP-Abgeordnete, die den Film gar nicht gesehen hatten, sein Aufführungsverbot forderten. Sondern gleich in einem Wahlkampf, dessen Höhepunkt von künstlerischer Seite bis dato eine Attacke von André Heller gegen Wolfgang Schüssel (bei der Nestroy-Preisverleihung) war.
Peter Kern, der trotz einer glorios unförmigen Karriere bei Fassbinder, Zadek und auch als Filmemacher und Vorreiter der deutschen Schwulenbewegung vermutlich in seinem ganzen Leben den Nestroy-Preis nie erhalten wird: Sein Schüssel-Porträt hat nichts von kleinlicher Häme, sondern diabolisiert den Kanzler und mit ihm das ganze Land mit einer Grandezza, die eigentlich nur rauhe Videobilder und billige Kulissen ermöglichen – also praktisch bis zur Unkenntlichkeit. Nicht "Haider" lähmt die ÖVP, wie man lange behauptete, sondern "Schüssel" bedient sich vampirisch und prophetisch bei "Haider".
Haider lebt macht sich weiters auch gar keine Illusionen: Der Journalist, dem als "Aufklärer" keine Schmutzwäsche zu grindig ist – er erweist sich irgendwann als Haiders ebenbürtiger, entsetzter Nachfahre. Im Keller des Burgtheaters haben sich die guten Geister längst resignativ zurückgezogen. Kurz: Eigentlich ist dies exakt der kurze, schnelle, böse Film, den der heimische "Widerstand" anlässlich der Wende 2000 immer wieder herbeigesehnt hat – vermutlich mit klareren Unterscheidungen zwischen Gut und Böse. Die kann und will Peter Kern, jenseits von Gut und Böse, nicht bieten. Ein Fettnäpfchen jagt also das nächste, ganz im Sinne Schlingensiefscher "Selbstprovokation". (DER STANDARD, Printausgabe, 9./10.11.2002)