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Nach gut 20 Stunden endete die "Geiselnahme" von Sankt Marein. Wie sich nach der Festnahme des Verdächtigen durch Cobra-Beamte herausstellte, gab es keine Geisel und auch keine Sprengfallen.

Foto: APA/MARKUS LEODOLTER

Der Mann hatte sich in seiner Wohnung verschanzt und behauptet, er habe eine Geisel. Die Drohung war erfunden.

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St. Marein - Um 4.12 Uhr wurden die Leitern von maskierten Männern in die Schaldorferstraße in Sankt Marein im Mürztal getragen. Leitern, über die Minuten später diese Beamten des Einsatzkommandos Cobra durch die Fenster in jene Wohnung einsteigen sollten, in der sich ein 55-jähriger Steirer verschanzt hatte. Der damit drohte, eine Geisel in seiner Gewalt zu haben und eine Sprengung zu planen. Zehn Minuten später war klar: Die Geisel gab es nicht, und eine Sprengung wäre unmöglich gewesen.

Für den Verdächtigen ändert die Wirksamkeit der Sprengmittel wenig - ihm droht eine Strafe bis zu fünf Jahren Haft, falls ihn die Gutachter für zurechnungsfähig einstufen. Nach welchem Delikt er angeklagt wird, darauf will sich Walter Plöbst, Sprecher der Staatsanwaltschaft Leoben, im Gespräch mit dem Standard nicht festlegen. "In Frage kommen Landzwang und schwere Nötigung." Bei Ersterem wird "die Bevölkerung oder ein großer Personenkreis" bedroht, was eine "schwere Störung des öffentlichen Lebens" herbeiführt. Für das Strafmaß ist das gleichgültig: "Beide Delikte sind mit mindestens sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen" , sagt Plöbst.

Derzeit befindet sich der Verdächtige, ein gelernter Installateur, der zuletzt als Schweißer gearbeitet hat, in Untersuchungshaft. Mittels eines psychiatrischen Gutachtens soll geklärt werden, ob er zurechnungsfähig ist oder nicht. Falls nein, droht ihm die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

Sein Motiv war seine Suche nach "Gerechtigkeit" . Er war vor einigen Jahren wegen Gefährlicher Drohung und Körperverletzung bedingt verurteilt worden. Was er als unfair empfand. So begann er, Gerichte und Politik mit Eingaben zu bombardieren, um auf seinen Fall aufmerksam zu machen. Was nicht gelang - am Mittwoch griff er offenbar zum extremen Schritt.

Für die Polizeikräfte war sein Geisteszustand zu diesem Zeitpunkt schwer einzuschätzen. "Er hat auf die Verhandler einen geordneten und orientierten Eindruck gemacht" , schildert ein Beamter. Daher wurde seine Drohung, sich bei einem Einsatz in die Luft zu sprengen und Polizisten zu töten durchaus ernst genommen. Auch seine Aussage, eine deutsche Tramperin als Geisel genommen zu haben, erhielt dadurch Bedeutung. Um 17 Uhr brach der bis dahin gute Kontakt via Telefon zu dem Mann ab - bis zum Zugriff sollte es keine weitere Kommunikation geben.

Was folgte, waren stundenlange Vorbereitungen für die Stürmung. Die aus Sicht der Einsatzkräfte nicht nach Plan verlief. Denn die Männer mit den Leitern kamen viel schwerer durch die Fenster als erhofft - der Verdächtige hatte sie mit Schränken und Möbeln verbarrikadiert.

In der Hektik in die Wohnung zu gelangen, sahen die Cobra-Männer offenbar Gefahren, die nicht existierten. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag, eine Stunde nach dem Zugriff, hatte Manfred Komericky von der Cobra noch geschildert, zwischen einer Doppeltür seien Benzinkanister gelagert und PET-Flaschen, die Molotowcocktails ähnelten, seien auf dem Boden gewesen. Auch Sprengfallen habe man entdeckt.

Da plötzlich eine Rauchentwicklung wahrgenommen wurde, erlebten die Beamten die Situation als noch dramatischer. Kurz darauf war allerdings klar, dass der "Rauch" aus einem Feuerlöscher stammte, den der Mann betätigt hatte. Am Donnerstagvormittag war klar, dass es keine Sprengfallen gegeben hatte, auch die Molotowcocktails waren nicht wirklich einsatzbereit.

Festnehmen ließ sich der Mann widerstandslos, er schrie sofort: "Ich habe keine Geisel und nie eine gehabt." Was er hatte, war die erhoffte Aufmerksamkeit. Zwanzig Stunden lang stand er im Mittelpunkt. Erst die Männer mit der Leiter beendeten den Auftritt.  (Michael Möseneder, DER STANDARD - Printausgabe, 20. Februar 2009)