Beirut/London - Der regierungsunabhängige Think Tank "International Crisis Group" (ICG) hat in seinem jüngsten Nahost-Bericht davor gewarnt, das Problem der palästinensischen Flüchtlingscamps im Libanon zu vernachlässigen. "Die Flüchtlingsbevölkerung stellt eine Zeitbombe dar", heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht. Die Lager drohten zum Nährboden für radikal-islamische Gruppen zu werden. In dem Nahost-Land leben rund 150.000 Palästinenser in zwölf großen Lagern.

Gefordert sieht die ICG die libanesische Regierung ebenso wie die internationale Gemeinschaft. "Es wurde so gut wie gar nichts gemacht, um das Problem wirklich anzusprechen", lautet das vernichtende Urteil. Getrieben von Sicherheitsbedürfnissen habe Beirut eine "ausschließlich reaktive Haltung" eingekommen.

Heikles Gleichgewicht

So sei einer Integration der Flüchtlinge der Riegel vorgeschoben worden, weil die Angst wiederauflebe, dass die andauernde Präsenz der mehrheitlich sunnitischen Palästinenser im Libanon das heikle Gleichgewicht der Konfessionen ins Wanken bringen könnte. Mit dem Ergebnis, dass die Palästinenser mittlerweile einen "bemerkenswerten Grad politischer Autonomie" hätten - und die Lager mit einer stark bewaffneten, unter ärmlichsten Bedingungen lebenden Bevölkerung zu "Zonen der Gesetzlosigkeit" würden.

Die internationale Gemeinschaft dagegen habe mit der Konzentration auf die Entwaffnung nur polarisiert, anstatt zu einer Lösung beizutragen. Die UNO-Resolution 1701, die den jüngsten Libanonkrieg 2006 beendete, sieht die Entwaffnung aller Gruppen im Libanon vor, nicht zuletzt auch der schiitischen Hisbollah-Miliz. Den Geberstaaten empfiehlt die ICG u.a. eine deutliche Aufstockung der Gelder für das UNO-Hilfswerk UNRWA.

Im Vorjahr zerstörte die libanesische Armee in einer blutigen, vier Monate dauernden Operation gegen die sunnitische Extremistengruppe "Fatah al-Islam" das seit 1948 bestehenden Lager Nahr al-Bared im Nordlibanon, wo mehr als 30.000 Menschen lebten. Diese Ereignisse sollten "genug Grund sein, zu handeln", betont die International Crisis Group. (APA)