Shuttlebus ins Einkausvergnügen: Die Excalibur-City wird täglich von Wien angefahren.

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Ehepaar Schaden-Arslani, Yorkshire Terrier Lala: "Einfach mal rauskommen"

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Nicht ohne meinen Trolley: Die Busbelegschaft auf dem Weg...

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...zum Einkauf im "Excalibur Center".

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Buntes Allerlei: Wo endet ein Geschäft, wo fängt das nächste an?

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Anita Ruso, Brigitta Schipany, Enkerl Marvin: Ein Haarschnitt für 7 Euro

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Monika und Lenka: "90 Prozent unserer Kunden kommen aus Österreich"

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Schnäppchenparadies "Rrrausmarkt": Das Angebot reicht von der Zuckerwatte bis zur Klobürste.

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Vietnam hinter der Chinesischen Mauer: der "Asia-Markt"

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Schwacher Shopping-Samstag: Die Standler vertreiben sich die Zeit mit Ping Pong

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Kosmetik gibt es auch für Vierbeiner - in "Dr. Doolittle's Tiercenter"

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Yorkshire Terrier "Lala" kommt frisch vom Hundefriseur.

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"Ich hab 'ne Zwiebel auf dem Kopf ich bin ein Döner..." Die Melodie dröhnt aus dem Handy einer stämmigen Mittfünfzigerin. "Denn Döner macht schöner..." Der ganze Bus wird mit dem Partykracher des "Singenden Friseurs" Tim Toupet beschallt. Vereinzelt summen Fahrgäste mit, andere ziehen die Augenbrauen hoch. Was sie eint, ist ihr Ziel: Die tschechische Grenze. Im Shuttlebus geht es täglich von Wien-Schwedenplatz über die Außenbezirke in die 65 Kilometer entfernte "Excalibur City". Shopping im Grenzland - und "vom Doktor bis zum Augustinverkäufer fahren alle mit", wie es Erich Lichtenegger, der lang gedienter Busfahrer ausdrückt. Hin- und Rückfahrt kosten zehn Euro. Excalibur-Clubmitglieder (nach Angaben der Excalibur Holding 25.000 an der Zahl) zahlen sogar nur sieben. Wenig mehr als für eine Fahrt von Wien Floridsdorf Stadtzentrum und retour.

Zwischen dem österreichischen Kleinhaugsdorf und dem tschechischen Hatě hat der 45-jährige Österreicher Ronnie Seunig mit der Excalibur-City seinen Traum in Plastik und Beton gegossen: 206 Geschäfte auf 26.300 Quadratmetern haben täglich von 9.00 bis 21.00 Uhr geöffnet - 365 Tage im Jahr. Nach eigenen Angaben verzeichnet die Einkaufsstadt mit der eigenwilligen Ästhetik rund vier Millionen Besucher pro Jahr. Das "Duty Free"-Erfolgskonzept ist dem Shopping-Wunderland allerdings abhanden gekommen:  Seit dem Beitritt Tschechiens zur EU am 1. Mai 2004 und zum Schengen-Abkommen am 21. Dezember 2007 existiert die Grenze zu Österreich praktisch nicht mehr. Die Preise sind gestiegen. Die Leute kommen trotzdem: "Wegen den Dienstleistungen", lautet der Tenor. Die seien immer noch viel günstiger als in Wien.

"Bitte den Platz merken"

In Wien Floridsdorf füllt sich der Bus. 18 Frauen mittleren Alters schieben sich auf der Suche nach einem Sitzplatz durch den Gang. Plastikjacken rascheln, gefälschte Louis Vuitton Handtaschen werden verstaut. Eine Mischung aus Parfumwolken und kaltem Rauch wabert über die Sitze. Die noch leeren Einkaufstrolleys schaukeln im Bauch des Busses mit an die Grenze. "Herzlich Willkommen an Bord", begrüßt der Fahrer seine Gäste, und weist gleich darauf hin, sich bitte den Sitzplatz zu merken. "Wir wollen ja nachher keine Streitereien." Warum das wichtig ist erklären zwei junge Damen. "Naja, es ist schon zu Handgreiflichkeiten gekommen, wenn Leute nicht denselben Platz wie bei der Hinfahrt hatten."

Das Ehepaar Schaden-Arslani hat es sich in der sechsten Reihe bequem gemacht. Alle drei bis vier Monate fahren die beiden in die Excalibur-City. "Weil man mal raus will und einfach was neues sehen", beschreibt der 36-jährige Postzusteller Senad Arslani seine Motivation. Diesmal haben die beiden aber auch ganz konkret schon etwas geplant. Ihr 9-jähriger Yorkshireterrier Lala soll zum Hundefriseur. 30 Euro kostet das bei "Dr. Dolittle's Tiercenter" - um 15 Euro günstiger als in Wien.

Friseur, Maniküre und Massagen für Vier- und Zweibeiner sind im Grenzland ungleich billiger als in Österreich und deswegen besonders beliebt. Viele der "Stammgäste" gönnen sich hier einmal im Monat etwas davon. Es gibt aber auch Leute, die jede Woche kommen. "Die fühlen sich hier wohl, ihnen gefällt es besser als in Wien daheim", sagt Erich Lichtenegger. Er fährt seit elf Jahren mit dem "Excalibur-Bus" der Firma Blaguss ins Niemandsland, allein 2008 war er 285 Mal dort. Die Leute pflegen seiner Ansicht nach ihre sozialen Beziehungen in der Excalibur City: "Die kommen zum Tratschen herauf. Und natürlich wegen dem Essen. Und den Mehlspeisen. Ein bissl günstiger ist es ja noch als bei uns." Ein Paralleluniversum aus Sonderangeboten, Billig-Wellness und Cremeschnitten.

Drachen, Ritter und die Chinesische Mauer

Der Bus entlässt die Leute 100 Meter vor dem Eingang des "Excalibur Centers". Nach einem kleinen Treppenaufgang wartet dort hinter der Drehtür das Einkaufserlebnis im kalten Neonlicht. Die Leute starten mit ihren Wagerln im Schlepptau los. Hier mutet die Excalibur-City etwas farblos an: Ein Brand hat vor zwei Jahren Teile des Einkaufszentrums zerstört. Was früher wie eine futuristische Ritterburg aussah, ist jetzt ein nüchterner Plattenbau.

Sonst findet sich auf dem Areal zwischen Merlins Schloss und Dr. Doolittle's Tierklinik eine Mischung aus Fantasie- und Fabelwesen. Kleine Drachen schmücken die Parkplatzbeleuchtung, Ritter und Elfen bestimmen die Fassadengestaltung, die Mistkübel sind mit stilisiertem Meeresschaum überzogen. Niki Lauda hat ein Flugzeug dagelassen, das zum Restaurant umfunktioniert wurde, weiter hinten steht ein britischer Doppeldecker, ein "Burgerbus". Die Szenerie erinnert an den Kulissenbau am neu gestalteten Pratervorplatz in Wien - nur dass statt Sissi-Kitsch hier Fantasy-Versatzstücke das Bild bestimmen.

Auch die Chinesische Mauer hat den Weg ins Niemandsland gefunden. Allerdings sie nicht aus Stein gemauert, sondern ein bemalter Kulissenbau. Über dem Eingangstor thronen drei rote Pagodendächer. Alles nur Staffage für das, was dahinter kommt. In der mehrere hundert Quadratmeter großen Halle findet sich alles was der Fälschungsmarkt zu bieten hat. Geldbörsen in diversen Größen, Farben und Materialen sind beim französischen Luxuslabel Luis Vuitton kaum unter 600 US-Dollar zu haben. Hier kosten sie zehn Euro - Verhandlungsbasis. Auch Pullover von Lacoste oder Tommy Hilfiger gibt es für den selben Preis. An diesem Samstagnachmittag ist die Halle fast leer. Die Standler spielen Pingpong, sitzen vorm Fernseher oder vertreiben sich die Zeit bei einem Brettspiel. Wo Regen durch das Hallendach tropft, stehen Kartons, um das Wasser aufzufangen.

Buntes Sammelsurium an Einkausoptionen

Im "Excalibur Center" gegenüber reiht sich Geschäft an Geschäft, ein buntes Sammelsurium an Einkaufsoptionen aller Art: Osterdekoration, Trachtenkleider, Nagelstudio, Porzellangedecke mit Zwiebelmuster, kleine Tierfiguren aus Glas oder Porzellan, Spielzeug, Katzenstreu und Meerschweinkäfige. Oft ist unklar, wo ein Geschäft endet und das nächste beginnt.

Bei der Gastronomie ist es ähnlich. Das Restaurant "Phoenix" ist Pizzeria, Chinarestaurant und Cafè gleichzeitig. Das bedeutet Antipasti zur Vorspeise, Huhn-Süßsauer als Hauptgang und Schokopalatschinken zum Dessert. Hier lassen es sich die Besucher gut gehen und gönnen sich mehr als zuhause. Die Preise sind günstiger als in Wien. Zumindest ein bisschen: Hauptspeise, Getränke und Dessert für zwei Personen gibt es um 20 Euro.

"Angst vorm Verschneiden"

Vor dem "Salon Anna", einem der Friseure im Obergeschoss des Shoppingcenters, haben es sich Anita Ruso, 61 und ihre Freundin Brigitta Schipany, ebenfalls 61, auf einer roten Ledercouch auf eine Zigarettenlänge gemütlich gemacht. Sie warten auf Marvin, den 5-jährigen Enkel Schipanys. "Der Haarschnitt für den Kleinen kostet hier sieben Euro", sagt Schipany. Die beiden Damen bleiben aber ihrem Wiener Salon treu. "Ich hab einfach Angst, dass sie mich verschneiden", argumentiert Ruso und fährt sich wie zum Beweis durch den blonden Kurzhaarschnitt. Die beiden sind bis zu drei Mal im Monat hier - immer am Wochenende. Groß einkaufen tun sie aber nicht, denn der Supermarkt sei bei manchen Produkten teurer als in Österreich. Hin und wieder nehmen sich die beiden aber eine Mehlspeise mit.

Die Skepsis der beiden Damen was den Friseurbesuch betrifft, teilen nicht alle Besucher. Die Dichte an Haarschneidemöglichkeiten ist hoch. Insgesamt gibt es fünf Friseure in Excalibur-City - und einen Hundefriseur. "Die Konkurrenz ist groß", sagen Lenka, 24, und Monika, ebenfalls 24. Die jungen Tschechinnen arbeiten seit drei und vier Jahren in einem der Salons. In oder für die Excalibur-City arbeiten 956 Personen. Nur sieben davon sind nach Angaben der Betreibergesellschaft "Excalibur Holding" Österreicher - und die sitzen im Wiener Büro.

Ihre Kundschaft komme zu 90 Prozent aus Österreich, schätzen die jungen Friseusen. Die beiden pendeln jeden Tag etwa eine Stunde lang aus der etwa 26 Kilometer östlich von Znaim gelegenen Ortschaft Hrušovany nad Jevišovkou mit einer Fahrgemeinschaft an den Grenzübergang. Zwölf Stunden dauert ihr Arbeitstag in der Shopping-City: von 9.00 bis 21.00 Uhr, die Dienste wechseln im Wochenrhythmus. Momentan ist nicht viel los: "Jänner und Februar sind schwache Monate", erklären sie. Dafür gehe es in den Sommermonaten und vor Weihnachten ziemlich rund.

Im "Land der Lügen"

Um die Besucher auch weiter bei der Stange zu halten, plant Excalibur-Mastermind Ronnie Seunig einen Themenpark. Arbeitstitel: "Das Land der Lügen." Die Vorlage für den 35 Hektar großen Vergnügungspark hat Seunig selbst geschrieben. Im gleichnamigen Fantasyroman schickt er zwei Kinder auf die Suche nach dem Schlüssel zur Wahrheit. Seunig leitet bereits in den Frühen 1990er Jahren Spielhallen und Casinos in Tschechien. 1992 eröffnete er den ersten Duty-Free-Shop der damaligen Tschechoslowakischen Republik und legte damit den Grundstein für die Excalibur-City. Seunig bezeichnet sich selbst als "Top-Unternehmer", "unkonventionellen Freigeist" und "Kumpel mit Handschlagqualität", der ein seiner Meinung nach "unaufhörlich wachsendes Imperium" geschaffen hat. Eigenen Angaben zufolge verbringt er die Hälfte des Jahres in Australien. Dort vertreibt er sich die Zeit unter anderem mit seinem selbstgebauten Zwei-Mann-U-Boot.

Den Besuchern ist das egal. Noch schnelle Einkäufe im Supermarkt - Wurst, Gebäck und Softdrinks. Dann trudelt die Reisegemeinschaft beim Bus ein. Die vollen Einkaufstrolleys werden im Kofferraum verstaut. Eine letzte Zigarette vor der Fahrt - um 17.30 Uhr geht es zurück nach Wien. Streitereien wegen Sitzplätzen gibt es nicht. Im Bus ist es ruhig. Die Leute sind müde, und frisch frisiert. (Nicole Bojar, Michaela Kampl, derStandard.at, 2.3.2009)