Der genetische Fingerabdruck wird von Kriminalisten als unfehlbare Essenz der Identität geschätzt. Die Speicherung ist umstritten.

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Was wissen Straftäter über DNA-Profiling? Verändern neue forensische Methoden ihre Strategien? Und wirkt sich die Speicherung des DNA-Profils auf ihre Zukunftspläne aus? Darüber sprach die Politologin Barbara Prainsack mit 26 Freiwilligen aus zwei heimischen Haftanstalten im Rahmen des Genomforschungsprogramms GEN-AU und publizierte die Ergebnisse mit Martin Kitzberger vor kurzem in Social Studies of Sciences.

Was die Erfassung der Häftlinge in der forensischen Datenbank des Innenministeriums (in Betrieb seit 1997) nach der Entlassung bedeuten kann, erläutert die Sozialwissenschafterin an folgendem Beispiel: Paul und Paula begehen gemeinsam einen Raubüberfall und hinterlassen biologische Spuren. Paul wurde bereits einmal verurteilt, sein DNA-Profil ist daher gespeichert. Aufgrund der DNA-Spur vom Tatort wird er identifiziert und festgenommen. Paula ist nicht vorbestraft und kann anhand der Spuren nicht identifiziert werden.

In der internationalen Debatte zum Thema gibt es Stimmen, die eine solche Ungleichbehandlung für nicht eindeutig gerechtfertigt halten - schließlich wurde Pauls Schuld mit seiner ersten Strafe getilgt, sein DNA-Profil aber bleibt gespeichert.

Von den gefassten und verurteilten Straftätern erwartete sich Barbara Prainsack eher wenig Begeisterung für moderne Polizeiarbeit, "aber die meisten Häftlinge beurteilten die DNA-Technologie sehr differenziert. Sie wussten, dass DNA nicht nur Schuld beweisen, sondern auch entlasten kann." 24 der 26 Befragten hielten die Datenbank prinzipiell für eine gute Sache, weil "echte Bösewichte" geschnappt werden können. Zudem zwinge DNA-Profiling die Polizei, sorgfältig zu untersuchen, statt nach den üblichen Verdächtigen zu fahnden, so der Grundtenor.

Wissenschaftlich gesehen, hielt der Großteil der Häftlinge die DNA-Analyse für eine unfehlbare "Sprache der Wahrheit". Anwender der Technologie - wie die Polizei - hingegen wissen, dass sie wie jede andere auch, fehleranfällig ist. Fehler passieren, wenn das DNA-Profil nicht - wie in Österreich üblich - mit Fingerabdrücken abgeglichen und derselben Person zugeordnet wird. Ein DNA-Treffer beweist zudem nicht die Täterschaft, sondern gibt bloß einen Ermittlungsansatz. Der "C.S.I.-Effekt" aus den TV-Krimis bewirkt einen Glauben an "DNA als Königin der forensischen Technologie. Wir sehen auch in anderen Bereichen, dass der Genetik als Wissenschaft ein privilegierter Zugang zur Wahrheit zugeschrieben wird", meint Prainsack.

DNA-Spuren zu vermeiden ist nahezu unmöglich. Darüber sind sich die Häftlinge richtigerweise einig. Man müsste schon "im Taucheranzug einbrechen", so ein Befragter. Diffuse Angst haben viele davor, dass falsche DNA-Fährten von ehemaligen Komplizen oder Mithäftlingen absichtlich gelegt werden.

Eine abschreckende Wirkung der forensischen DNA-Datenbank kann nicht eindeutig bejaht werden. Viele Taten werden schließlich im Affekt oder unter Drogen begangen, ohne sich um Spuren zu sorgen. Zum anderen wird "Berufskriminellen" zugetraut, ihren Job auch künftig "gut zu machen" und DNA-Spuren in den Griff zu kriegen - wie davor Fingerabdrücke.

Debatte um Speicherung

Der Mundhöhlenabstrich wird zumeist als größerer Eingriff in die körperliche Integrität empfunden als die Abnahme des Fingerabdrucks. In den Aussagen schwingt wohl mit, dass Gene gerne als "Essenz" gesehen werden: des Lebens oder der Identität. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte argumentiert in seinem aktuellen Urteil gegen die Praxis in England und Wales, DNA-Profile auch von freigesprochenen Personen für unbegrenzte Zeit aufzubewahren, ähnlich: Die Speicherung eines DNA-Profils in einer Datenbank bedeutet potenziell einen größeren Eingriff in die Privatsphäre eines Menschen als die Speicherung eines Fingerabdrucks. Wohl auch deshalb standen die Befragten einer bevölkerungsweiten DNA-Erfassung ablehnend gegenüber. Diesen Eingriff in die Privatsphäre wollte keiner einem unbescholtenen Menschen zumuten.

"Fingerabdrücken traute man einst zu, Verbrechen zu verhindern. Ähnlich hohe Erwartungen hatte man an DNA-Technologien, als diese nutzbar wurden. Solche übersteigerten Erwartungen sind wieder etwas am Abflauen", beobachtet die Forscherin vom Centre for Biomedicine and Society am Londoner King's College.

Österreich verfügt mit 120.000 DNA-Profilen und 30.000 offenen Tatortspuren über die fünftgrößte forensische Datenbank weltweit. Die Regelungen zur Speicherung und Löschung beurteilt Prainsack als vernünftig. Hierzulande kommt in die Datenbank, wer Delikte begeht, die eine hohe Wiederholungswahrscheinlichkeit haben.

Schuldlos hinter Gittern

Vorwürfe rund um DNA-Profiling werden laut, weil es von wissenschaftlicher Forschung und Peer-Review begleitet und transparent sein sollte. "Das FBI hat die DNA-Analyse aber zur Behördensache erklärt, mit dem Resultat, dass das amerikanische System eines der fehleranfälligsten weltweit ist. Hunderte, vielleicht sogar tausende Menschen sitzen schuldlos im Gefängnis", so die Politologin.

Wenn Kritik der Kollegenschaft ausgeschaltet und hinter verschlossenen Türen getüftelt wird, leiden die Standards der Wissenschaftlichkeit. Martin Steinlechner, Fachbereichsleiter Forensische Genetik und Spurenkunde im DNA-Zentrallabor an der Gerichtsmedizin Innsbruck, bezeichnet die bereits praktizierte forensische DNA-Analyse als sehr robust und beteuert: "Als Institut der Med-Uni stellt Forschung unsere wichtigste Aufgabe dar." (Astrid Kuffner/STANDARD,Printausgabe, 04.03.2009)