Washington - Im Rahmen eines Aussöhnungsprozesses in Afghanistan sei man bereit, auch mit gemäßigten Kräften unter den Taliban zu reden, sagte US-Präsident Barack Obama in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit der New York Times.

Als Vorbild soll der Dialog dienen, den der Viersternegeneral David Petraeus ab 2006 mit sunnitischen Stammesführern im Westirak führte. Dort wechselten Milizen, die den GIs zuvor erbitterten Widerstand geleistet hatten, innerhalb von wenigen Monaten die Fronten, um zusammen mit den US-Soldaten gegen einen gemeinsamen Feind zu kämpfen - die Religionsfanatiker von Al-Kaida. Der Schwenk trug entscheidend dazu bei, die Lage im Zweistromland zu stabilisieren.

Ähnliches will Washington nun auch am Hindukusch versuchen, wo die Taliban, vor acht Jahren von der Macht in Kabul vertrieben, längst eine Renaissance feiern.
„Wenn Sie mit General Petraeus reden", so Obama, „wird er argumentieren, dass ein Teil des Erfolges im Irak darin bestand, Leuten die Hand zu reichen, die wir als islamische Fundamentalisten ansehen würden, die aber bereit waren, mit uns zu arbeiten." Allerdings sei die Situation in Afghanistan noch komplizierter. Dort habe man es einerseits mit schwachen Regierungsstrukturen und andererseits mit Stämmen zu tun, die großen Wert auf ihre Unabhängigkeit legen und einander häufig befehden. Das alles zu verstehen sei eine noch größere Herausforderung.

17.000 Soldaten mehr

Der präsidiale Vorstoß reiht sich ein in eine Neubewertung der Afghanistan-Strategie, wie sie das Weiße Haus und das Pentagon gerade vornehmen. Bis zum Sommer sollen 17.000 US-Soldaten in das krisengeschüttelte Land beordert werden, zusätzlich zu den 36.000, die derzeit dort stehen. Der erfahrene Diplomat Richard Holbrooke, einst Vermittler im Bosnien-Konflikt, sondiert parallel dazu die Verhandlungschancen - als Sonderbeauftragter für Afpak, wie die Region Afghanistan/Pakistan im Beamtenjargon heißt.

Dabei klingen die Lageanalysen des neuen Teams deutlich nüchterner als unter George W. Bush. Zunehmend geht man auf Distanz zu Staatschef Hamid Karsai, den Obamas Riege für chronisch korrupt und unfähig hält. Auf die Frage der New York Times, ob die USA den Krieg in Afghanistan nach seiner jetzigen Einschätzung gewinnen, antwortete Obama mit einem knappen, eindeutigen „Nein".

Offen ist, wann und von wem Gespräche mit den Taliban angebahnt werden sollen, falls sie im Geheimen nicht bereits stattfinden. Britische Diplomaten, gut mit der Lage im hartumkämpften Süden vertraut, plädieren seit langem dafür, die Miliz der Koranstudenten differenzierter zu sehen und vergleichsweise moderate Kommandeure zum Überlaufen zu bewegen. Als Tabu gilt es, Mullah Mohammad Omar einzubeziehen, den Mann, der bis Herbst 2001 an der Spitze der Taliban in Kabul regierte. Omar hatte Osama Bin Laden vor den Terroranschlägen des 11. September Gastrecht gewährt. (fh, DER STANDARD, Printausgabe, 9.3.2009)