Seit zwei Jahren reagieren die einst verhassten politischen Gegner DUP (Democratic Unionist Party; protestantisch) und Sinn Féin (katholisch) gemeinsam im Regionalparlament "Stormont".

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Nordirland hat nach Beendigung des Bürgerkriegs auch touristisch aufgeholt. Zu den Attraktionen zählt etwa die Küstenlandschaft in der Grafschaft Antrim.

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Protestantisches Wohnviertel in der Hauptstadt Belfast: Britische Fahnen schmücken die Straßen.

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Eine meterhohe Friedensmauer trennt noch heute die protestantische Shankhill Road von der katholischen Falls Road in Belfast.

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In der katholischen Falls Road in Belfast gibt es zahlreiche irische Pubs, die Straßenschilder sind neben Englisch auch in Gälisch beschriftet.

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Der Anschlag auf Soldaten einer britischen Kaserne in Nordirland am Samstag war seit zwölf Jahren der erste dieser Art; um die einstige Krisenregion war es schon lange still geworden. Doch die Nachwehen des 30 Jahre andauernden Bürgerkriegs zwischen Katholiken und Protestanten sind heute nach wie vor spürbar: Ende Jänner gab es Demonstrationen gegen das Vorhaben, an die Hinterbliebenen aller Todesopfer des Konflikts Entschädigungszahlungen zu leisten. Stein des Anstoßes: Das Geld würde nicht nur an Familien unbeteiligter Opfer, sondern auch an Hinterbliebene getöteter ehemaliger Mitglieder paramilitärischer Organisationen wie der katholischen IRA (Irish Republican Army) gehen. Auch andere alte Wunden werden wieder aufgerissen: Opferfamilien des Bombenanschlags in Omagh 1998 werfen britischen Geheimdienstagenten vor, vom Anschlag gewusst, die Polizei jedoch nicht gewarnt zu haben. Mitte Februar traf sich der britische Premierminister Gordon Brown zu Gesprächen mit den Familien.

Große Schritte nach vorne

Seit der Unterzeichnung des Karfreitagabkommens vor elf Jahren herrscht in Nordirland offiziell Frieden. Die einst verhassten politischen Gegner DUP (Democratic Unionist Party; protestantisch) und Sinn Féin (katholisch) regieren seit zwei Jahren gemeinsam im Regionalparlament. Die Vergangenheit wurde zu einem großen Teil aufgearbeitet, zahlreiche Projekte zur Zusammenführung von Katholiken und Protestanten durchgeführt. Die als zu protestantisch kritisierte Polizei wurde reformiert, religiöse Diskriminierung in der Arbeitswelt per Gesetz verboten. Der Tourismus hat sich erholt, rund zwei Millionen Besucher werden pro Jahr gezählt. Heute bringen geführte Taxitouren Interessierte zu den berühmten Bürgerkriegs-Schauplätzen, der protestantischen Shankhill-Road und der katholischen Falls Road in Belfast. In der Einkaufstraße Royal Avenue, wo Frauen früher bei jedem Besuch den Inhalt ihrer Handtasche vor britischen Soldaten offenbaren mussten, ist heute auch an Wochentagen Hochbetrieb.

Gespaltene Gesellschaft

Das „Wir gegen die anderen" lebt in den Köpfen vieler Menschen aber nach wie vor weiter. Die Bevölkerung ist immer noch in eine katholische und eine protestantische gespalten, manche sagen, heute mehr denn je. „Es ist nicht so, dass wir nicht miteinander reden würden - wir haben immer miteinander gesprochen. Aber man ist sich immer noch darüber bewusst, wer sein Gegenüber ist - das ist ja nichts Schlechtes", erzählt eine Katholikin.

„Friedensmauern" trennen Katholiken und Protestanten

Besonders in Städten wie Belfast und Derry, wo die Auswirkungen des Konflikts seit jeher am stärksten waren, leben die beiden Communitys für sich. Getrennte Wohnsiedlungen, getrennte Schulen, getrennte Ehen. Einer Umfrage der „Northern Ireland Life and Times Survey" zufolge haben im Jahr 2006 nur 18 Prozent der Befragten in konfessionell gemischten Wohngegenden gelebt. Noch immer trennen meterhohe Beton- und Stacheldrahtmauern die so genannten „Interfaces", Schnittstellen zwischen katholischen und protestantischen Wohngebieten. Über die heutige Anzahl dieser so genannten „Friedensmauern" scheiden sich die Geister, die Rede ist von mehr als 30.

Maeve, Katholikin, Anfang 30, ist mit ihrem Freund vor rund zwei Jahren in eine jener protestantischen Hochburgen gezogen, in der das ganze Jahr über britische Flaggen wehen. Hauptgrund für den Hauskauf war der relativ günstige Preis, mit ihren Nachbarn versucht die Katholikin zu meiden. „Ich versuche, nicht zu viel mit ihnen zu tun zu haben, ich mache mir ein wenig Sorgen", sagt sie, fügt aber hinzu, dass man sich wohl erst kennen lernen müsse. Man wisse eben nicht, mit wem man es zu tun habe, wenn man sich in einem der Pubs in der Umgebung auf ein Gespräch einlasse.

Integrierte Schulen sind im Kommen

Wie ein Spiegelbild der gespaltenen Gesellschaft wirkt das konfessionell getrennte Schulsystem: Katholiken besuchen großteils Schulen, die von der katholischen Kirche verwaltet werden. Protestantische Eltern schicken ihre Kinder meist in vom Staat verwaltete Schulen, die landläufig als „Protestant Schools" bekannt sind. Elaine, Katholikin, Mitte 30, wuchs mit protestantischen Kindern auf und besuchte eine integrierte Volksschule. Später kam sie in eine katholische Schule. „Plötzlich war da dieses: Du bist anders als ich. Das war das erste Mal, dass ich mich auch wirklich anders gefühlt habe."

Nur knapp fünf Prozent aller Schüler haben im Jahr 2002/2003 so genannte „integrierte", also konfessionell gemischte Schulen besucht. Derzeit gibt es davon 61, die Nachfrage ist aber größer als das Angebot. Bei rund einem Drittel aller Schulen ist die Umwandlung in einen integrierten Status geplant.

Gemischte Ehen sind selten

Was sich im Kindesalter einprägt, wird im Laufe des Lebens zu einer Selbstverständlichkeit: Es kommt selten vor, dass ein Protestant und eine Katholikin heiraten oder umgekehrt. Bei einer Befragung im Jahr 2005 gaben 85 Prozent an, dieselbe Religion wie der (Ehe)-Partner zu haben.

Die Spaltung der Gesellschaft zeigt sich auch in der Medienlandschaft: Die Tageszeitung „News Letter" lesen vor allem Protestanten, die „Irish News" Katholiken, einzig der„Belfast Telegraph" wird von beiden Communitys gelesen.

Dass Katholiken und Protestanten in zwei unterschiedlichen Welten leben, scheint nur Außenstehenden aufzufallen. Fragt man nach, hört man vielerorts optimistische Stimmen. „Die Leute fangen jetzt an, zu reden, sich zu öffnen, über ihre Gefühle zu sprechen", so eine protestantische Studentin, „Ich glaube wirklich daran, dass es Hoffnung und Veränderung gibt, zur Zeit stehen die Dinge gut." Eine Katholikin sagt: „Die Menschen sind plötzlich auf den Geschmack gekommen, wie gut das Leben sein kann. Viele haben realisiert, dass es so nicht weitergehen kann, zu viele wurden getötet." Die Angst, dass die Vergangenheit das Land einholt, bleibt. "Es wäre naiv zu denken, dass es kein Konfliktpotenzial mehr gibt", sagt Dominic Bryan von der Queen's Universität in Belafst.  Aber, so eine Katholikin: Die Gesellschaft habe sich verändert, niemand wolle mehr zurück. (Maria Kapeller, derStandard.at, 9. 3. 2009)