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Idyllisches Elsass: Das historische Zentrum von Straßburg mit seinen alten Fachwerkhäusern vermittelt ein Lebensgefühl, das sich auch in der Gastronomie wiederfindet

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Rebellisches Lothringen: Wie hier bei einer Protestaktion von Bürgermeistern in Metz gegen die Schließung einer Armeebasis im Vorjahr formiert sich Widerstand gegen eine Zwangsfusion.

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Die betroffenen Elsässer und Lothringer verweigern die Zwangsheirat kategorisch. Lieber öffnen sie sich über die Landesgrenzen hinaus.

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Ob es denn in Krisenzeiten nichts Wichtigeres gebe, als die ganze Landesorganisation auf den Kopf zu stellen, fragte die Zeitung Le Monde Edouard Balladur, der Präsident Nicolas Sarkozy jüngst Vorschläge für eine Gebietsreform Frankreichs unterbreitete. Der gaullistische Ex-Premier war nicht um eine Antwort verlegen: Um wirtschaftlich mit den mächti-gen Bundesländern Deutschlands Schritt zu halten, müssten die viel kleineren Regionen Frankreichs zu starken "Wettbewerbspolen" vereint werden. Einige der 22 "régions" seien deshalb zu fusionieren, sodass es am Schluss nur noch ungefähr 15 gäbe.

Welche, verschweigt Balladurs Bericht auffälligerweise. Die zwanzig Mitglieder seiner Kommission wagen nur hinter vorgehaltener Hand anzugeben, was geplant ist. Denn die Absichten sind brisant. Eine Idee besteht darin, Elsass und Lothringen zu vereinen. Das ergäbe notgedrungen ein Ensemble mit dem gleichen Namen, den ein Verwaltungsgebiet des Deutschen Reiches von 1871 bis 1918 trug: Elsass-Lothringen. Das Gebiet ist zwar nicht völlig identisch: Neben dem Elsass gehörte zu Deutschland nur ein Teil der heutigen Region Lothringen, nämlich das Departement Moselle (Hauptstadt Metz). Doch allein schon die Bezeichnung weckt ungute Gefühle.

Schmerzhaftes Hin und Her

Dabei haben die Elsässer nichts gegen Deutschland, zu dem sie einmal gehörten. Im Gegenteil profitieren sie noch heute vom Sonderstatut, das ihnen das historisch schmerzhafte Hin und Her immerhin bescherte: Alsace und Moselle wahren sprachliche und schulische Eigenheiten; die Züge fahren im Unterschied zum übrigen Frankreich rechts aneinander vorbei, und ein Kirchenkonkordat bewahrt sie vor dem rigiden Laizismus der französischen Republik. Dieses verhilft ihnen zu einigen Feiertagen wie etwa dem Karfreitag, der in Frankreich sonst nicht schulfrei ist. Vor allem aber haben die Elsässer und Moselaner aus der Bismarck-Zeit eine Sozialversicherung geerbt, die großzügiger ist als die französische "Sécurité sociale" .

An diesen Vorteilen wollen die Elsässer und Lothringer nichts ändern. Außerdem sind sie einander wenig gewogen. Erstere sehen sich eher als Bonvivants mit Weißwein und Sauerkraut, zweitere sind stolz auf ihre Industrievergangenheit. "Unsere ganze Geschichte trennt uns" , meint Roland Ries, der Bürgermeister der Elsässer-Metropole Straßburg.

Sturmwarnung

Die Elsässer denken bis ins 16. Jahrhundert zurück, als sie sich in den Bauernkriegen von den Lothringern verraten fühlten. Außerdem haben sie den Eindruck, den Zweiten Weltkrieg spezifisch, ja getrennt erlebt zu haben; viele Elsässer - aber auch Lothringer - wurden als sogenannte "Malgré-nous" ("gegen unseren Willen" ) in die deutsche Wehrmacht oder Waffen-SS eingezogen. Deshalb, meinte der Historiker François Roth in Nancy (Lothringen), würde die Pariser Forderung nach einem neuen Elsass-Lothringen, wenn sie ausdrücklich erhoben würde, "einen Sturm auslösen" . Zeller ist noch kategorischer: "Die Idee einer Fusion von Elsass und Lothringen kommt mir nicht einmal in den Sinn. Das wird es nie geben."

Wenn Elsässer wie Lothringer auf ihrer Eigenständigkeit bestehen, heißt das keineswegs, dass sie sich abschotten wollen. Im Gegenteil: "Wir suchen gerne Wirtschaftspartner, wenden uns aber heute eher nach Luxemburg, Belgien oder ins Saarland" , meint der lothringische Regionalrats-Präsident Jean-Pierre Masseret.

Auch im europafreundlichen Straßburg sehen die Lokalpolitiker ihr wirtschaftliches Auskommen heute eher im Dreiländereck aus Baden-Württemberg, Elsass und dem Schweizer Kanton Basel als in Frankreich selbst. Der Präsident der Region Alsace, Adrien Zeller, will mit seinen deutschen und schweizerischen Kollegen vom Rheinknie Ende März in Brüssel ein gemeinsames Wirtschaftsprojekt einreichen, das EU-Subventionen erhalten soll. Fast scheint es, dass aus der Sicht der Straßburger Brüssel näher liegt als Paris. Das ist auch geografisch so - um einige Kilometer. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD,Printausgabe, 10.3.2009)